Einleitung

In meinem Textbeitrag möchte ich auf einige Dinge zu sprechen kommen, die mir in meinem Leben zugute kamen, und dies besonders dann, wenn es um die Bewältigung von Krisenerfahrungen ging.

Ich habe in den letzten Jahren - und das zieht sich hin bis in die Mitte der Achtziger Jahre - Zustände erlebt, die man gemeinhin als Bewußtseinskrise (manche sprechen mit Stanislav Grof auch von 'spirituellen Krisen') bezeichnen könnte. Ich möchte mich auf keinen solchen Ausdruck festlegen, sondern beschreiben, worum es mir ging und welche besonderen Erfahrungen ich dabei machte.

Dabei will ich auf drei Punkte näher eingehen, die nach meinem Dafürhalten bei solchen Bewußtseinskrisen eine Rolle spielen, und dies nicht nur bei mir, sondern meines Wissens nach bei anderen, die durch solche Bewußtseinskrisen hindurchgegangen sind.

Es geht um die Punkte:

*

Entwicklung und Stabilität
* Schmerz und Angst
* Ziele und Wege

Dabei kann ich nicht sauber voneinander trennen, was zu den einzelnen Punkten zu sagen ist, denn diese Themenbereiche sind bei jeder lebendigen Erfahrung ineinander verwoben und treten zu Tage und dies in einer Form, die immer auf den Einzelnen zugeschnitten ist. Daher will ich im Ganzen unscharf bleiben und offen lassen, wie es sich verhalten kann, denn das Leben bahnt sich seinen Weg in vielfältiger Weise und ist unglaublich erfinderisch im Gestalten von Lebensumständen und auch inneren Erfahrungen, die solche Krisenzustände begleiten.

Ich kann mich erinnern, daß ich jedes Mal, bei jedem dieser Zustände, überrascht war, welche Varianten sich bei mir einstellten, und wie wenig bisherige Erfahrungen mich ahnen ließen, was dieses Mal auf mich zukommt. So hat sich beispielsweise während der letzten Krise Anfang des Jahres ein Zustand eingestellt, den ich nur als Perversion normalen Erlebens beschreiben kann. Ich wurde in einer Art und Weise ver-rückt, die ich hier aus Zeitgründen nicht wiedergeben kann, und fand es doch, während dieses Erlebnis von statten ging, ganz normal und irgendwie selbstverständlich. Dieses Gefühl, daß sich hier etwas ganz Normales abspielt, hat sich in jeder meiner Krisen eingestellt, und es hat nicht verhindert, daß ich mich währen dieser außergewöhnlichen Zeitepochen (sie dauerten gewöhnlich ein bis zwei Wochen) im Außen normal und unauffällig - wie ich glaube beurteilen zu können - bewegen konnte.

Mir war bei allen diesen Erfahrungen klar, daß es sich um Phasen intensiver Entwicklung handelte, um meiner persönlichen Entwicklung, die sich in diesen Zeitabschnitten intensivierte und gleichsam Stufencharakter annahm.

Es ist in gewisser Hinsicht der Erfahrung eines Bergsteigers vergleichbar, der eine steile Felswand erklimmen muß und dies freudig tut, und sich dabei bewußt ist, daß niemand in zwingt, diese Erfahrung zu machen, sondern daß er dies aus eigenem Wollen und innerem Erstreben unternimmt. Während er in der Felswand alle seine Kräfte und Sinne anspannt, ist ihm klar, daß er sich hier nicht in normaler Weise bewegt - nicht so, wie es die Menschen unten im Tal zur selben Zeit wohl tun, wenn sie ihren alltäglichen Beschäftigungen nachgehen.

Diese Erfahrung, herausgehoben zu sein aus den normalen Betätigungen, die unser tägliches Leben kennzeichnen, ist allen meinen Krisen zu eigen gewesen und hat mich mehr oder weniger bewußt gehalten und getragen und verhindert, daß ich mich in Verzweiflung einer unangemessenen 'Therapie' unterziehen mußte. Ich war nicht im Zweifel darüber, und dies zu keiner Zeit, daß ich jede dieser Erfahrungen ertragen könne und unbeschadet daraus hervorgehen werde, auch wenn ich dies nicht zu jeder Zeit so in Worte hätte ausdrücken können.

So eingebettet in einer inneres Vertrauensverhältnis zu mir selbst, habe ich meine Krisen im Grunde so erlebt, wie andere eine außergewöhnliche Abenteuerreise oder einen besonderen Aktivurlaub genießen, wenngleich ich das Wort genießen erst im Nachhinein in Zusammenhang mit meinen Erlebnissen bringen konnte. Es war sogar so, daß ich in den Zwischenkrisenzeiten danach verlangte, wieder einmal etwas Außergewöhnliches zu erleben, und dies im Sinne einer Bewußtseinsreise mehr als einer im Außen geplanten Unternehmung.

Dennoch möchte ich den Eindruck erwecken, als hätte ich meine Krisen absichtlich herbeigeführt oder gar zielstrebig und rational geplant, wie man dies bei einer Urlaubsreise zu tun pflegt. Mir ist heute bewußt, daß Ziel und Planung bei solchen Krisenerfahrungen in den Händen unseres 'Inneren Selbst' liegen und nicht unserem persönlichen Wollen und Planen unterworfen sind. Das mag jene trösten, die sich in solchen Krisenzeiten schwerer getan haben als ich, und mag andere beruhigen, die sich seit langem eine solche Krisenerfahrung gewünscht haben und noch immer darauf warten.

Es ist mir seit langem bewußt, daß wir nicht nur als Einzelne Krisenzustände erleben und Bewußtseinskrisen durchmachen - durchmachen müssen, wenn man es genau betrachtet - sondern daß die Menschen im Großen (und das schließt mehr ein als die Summe aller Individuen, die wir Weltbevölkerung nennen) Bewußtseinskrisen immer erlebt haben und gegenwärtig in einer solchen befangen sind, deren Heftigkeit uns täglich vor Augen geführt wird, wenn wir den Blick dafür haben.

Bekannte Beispiele

Damit wir ein wenig mit der Tatsache vertrauter werden, daß es im Leben eines Jeden immer wieder zu solchen Krisenerscheinungen kommt, möchte ich auf einige gängige hinweisen, die jedermann geläufig sind, weil wir sie alle, und doch jeder für sich, erfahren und durchgestanden haben.

Ich denke dabei an die Pubertät und an die Wechseljahre - und beide müssen zusammengenommen werden, damit wir verstehen lernen, wie sich unser Bewußtsein im Laufe unseres Daseins schärft und fokussiert auf Themen, die sich ebenso im Innen wie im Außen formulieren', und dies in einer Sprache, die wir die lebendige Sprache des Menschlichen nennen können.

Das Menschliche ist dabei in den Vordergrund zu stellen, denn obgleich wir vermuten dürfen, daß ähnliche Erscheinungen auch im Tierreich (vielleicht sogar im Pflanzenreich) auftreten, sind wir doch in keiner Weise dafür ausgestattet, diese unserem Bewußtsein fremdartigen Wesen in einer Weise zu verstehen, daß wir mehr als nur eine oberflächliche Betrachtung ihrer Entwicklungszustände zuwege bringen. Daher will ich diesen Hinweis nur einflechten und ihm nicht weiter nachgehen, sondern mich auf menschliche Erlebnis- und Erfahrungswelten beschränken.



Es geht nach allgemeinem Dafürhalten bei den genannten Krisen um den Eintritt in die Geschlechtsreife und, wie man heute noch immer glaubt, in den Austritt in einen 'geschlechtslosen' (oder übergeschlechtlichen, wie man besser sagen würde), Altersabschnitt. An dieser Ansicht ist zunächst nicht zu rütteln, den unsere Beobachtungen scheinen uns klar zu erkennen zu geben, daß ein Kind noch nicht in der Lage ist, Kinder zu gebären oder Kinder zu zeugen. Dagegen sind wir nicht so sicher, ob solches auch für den Alten Menschen gilt, den wir haben heute Beispiele vor Augen, nach denen es anscheinend auch älteren Menschen noch möglich ist, im Namen der Fortpflanzung des Menschengeschlechtes tätig zu werden. Doch lassen wir es bei der durchschnittlichen Beobachtung, so können wir zunächst an der Meinung festhalten, daß der Mensch mit Eintritt in das Jugendalter die Geschlechtsreife erlangt, und mit Eintritt in das Greisenalter sie verliert. Wir wollen uns dabei offenhalten, ob dies aus biologischen, aus sozialen oder anderen, für uns uneinsichtigen Gründen so ist, und keine fundamentale Gesetzmäßigkeit daraus ableiten. Wie dem auch sei, wir sind nach Ablauf der Pubertätsphase nicht mehr dieselben, die wir vorher waren. Wir ändern in dieser Zeit unsere Körperformen, wir bekommen eine neue Gefühlsausstattung, und unsere Interessen verschieben sich in dem Maße, wie wir ein neues Wahrnehmen des anderen Geschlechts hervorbringen.

Während der Geschlechtsreifung kommt es zu einem Schub unseres Größenwachstums (Bild), wie wir alle wissen und anhand der folgenden Graphik noch genauer nachvollziehen können.

Wir wissen, daß solche Krisenzustände unser ganzes Wesen erfassen. Wir erfahren uns in ungewohnten emotionalen Zuständen. Wir verstehen uns selbst und in die Welt nicht mehr. Wir produzieren vielleicht körperliche Symptome, wie beispielsweise Appetitlosigkeit oder Heißhunger, zeitweilige Fieberzustände, grippeähnliche Zustände, Phasen von Müdigkeit und Erschöpfung im Wechsel mit Phasen der Unrast und Nervosität, um nur einige zu nennen. Und, während der Pubertät und noch einige Zeit danach, die bekannte 'pubertäre Akne', die den Jugendlichen mit ihrem neu erwachten Selbstbewußtsein schwer zu schaffen macht.

Die Entwicklung des Menschen
Woher kommen wir ?

*

Satz: Die Evolution, an die wir glauben, ist eine Evolution des menschlichen Bewußtseins.

Mit diesem Kernsatz können wir so manchen Rätseln auf die Spur kommen, die uns seit altersher bedrücken. Wir haben uns als Menschen immer wieder gefragt - und dies bei allen Kulturen und bei allen Völkern, von denen wir wissen - woher wir kommen, wohin wir gehen, und was der Zweck unseres Daseins sei. Diese Fragen sind eingeflossen in ein reichhaltiges Wissen, das wir heute einteilen in wissenschaftlich und mythologisch. Dementsprechend ist die Ansicht über die Herkunft des Menschen gar widersprüchlich: hat er sich nach und nach aus einer Art 'Urform' entwickelt? Oder wurde er von Göttern oder einem allmächtigen Gott 'erschaffen'? Anders gefragt: ist er in seiner Geschichte allmählich, über lange Zeiträume hinweg entstanden - oder wurde er aus dem Nichts hervorgeholt? Unsere Kulturgeschichte lehrt uns, daß wir zu verschiedenen Zeiten diese Frage unterschiedlich beantwortet haben. Sehr unterschiedlich, wohlgemerkt.



Wissenschaft und Glaube

Wir schreiben heute Charles Darwin die Entdeckung der Grundlagen unserer modernen Evolutionstheorien zu, auch wenn wir an diesen damals Entdeckten Grundregeln heute nicht mehr so festhalten, wie es zu Zeiten war.

Damals, das heißt im 19. Jahrhundert, trat der Gegensatz zwischen religiösem Glaube und 'quasi-religiöser' Wissenschaft in seine vielleicht schärfste Phase, und unter diesem Aspekt betrachtet, stellen die Entdeckungen von Charles Darwin in der Tat ein Novum dar. Damals - wie heute - geht es darum, uns unseres religiösen Glaubens bewußt zu werden und ihn im scharfen Gegensatz zu einem anderen Glaubenssystem in aller Deutlichkeit hervortreten zu lassen. Wir sind lange, vielleicht allzulange, dem christlichen Glauben angehangen, und haben unreflektiert übernommen, was uns unsere Vorväter hinterlassen hatten. Das sollte und durfte so nicht auf sich beruhen bleiben, sondern es mußte sich der menschliche Geist neue Denkansätze schaffen, die ihn über das tradierte Wissen hinaus beflügeln. Solches ist geschehen, und wir verdanken diese Entwicklung der modernen Wissenschaft, der Naturwissenschaft insbesondere.

Es ist müßig, sich die großartigen Leistungen unserer Väter auf den Gebieten Physik und Chemie immer wieder vor Augen zu führen. Sie bleiben unbestritten und dienen unseren Kindern als Anschauungsmaterial für die geistige Potenz des Menschen. Sie führen uns immer wieder vor Augen, zu welch großartigen Leistungen das menschliche Denkvermögen fähig ist, und wie es Gedachtes in Reales, und Reales in Alltägliches und Handhabbares umzumünzen versteht. Das ist, kurz gesagt, die technologische Entwicklung, die auch heute noch andauert und der wir die Annehmlichkeiten unseres täglichen Lebens verdanken. Zu verdanken meinen, mag auch richtig sein, denn wir haben dafür einen hohen Preis entrichtet, und wir opfern dieser Entwicklung vielfältig Ideale, die über Generationen hinweg, und gerade in unserem Volk, Gültigkeit besaßen. Es ist uns als Menschen verwehrt, und zumal solange wir in diese Entwicklung eingebunden sind, die Bedeutung all dieser menschlichen Unternehmungen in Wissenschaft und Technik in Gänze zu würdigen. Und doch sind wir auf diesem Weg so weit fortgeschritten, daß wir, einsichtig genug, davor hüten können, die Errungenschaften der Technik einerseits in den Himmel zu heben oder zu verteufeln, andererseits.

Es ist eine Entwicklung, die wir im Großen - und das heißt, im Rahmen unserer Menschheitsgeschichte - befördert haben, und daran ist nichts zu rütteln und zu deuteln, denn sie ist geschehen, und sie rollt noch immer die Zukunft vor uns her. Das mag uns verwundern, denn wir sind kaum in der Lage, uns eine andere Zukunft vorzustellen, als die einer fortschreitenden technologischen Entwicklung, und diese ist gemeint, wenn man so häufig den Begriff 'Innovation' hört.

Die Ökologische Krise

Doch im Grunde geht es mir um etwas anderes. Wir sollten immer wieder innehalten und unseren Standpunkt überdenken. Wir sind tief in die ökologische Krise hineingeraten, und tun uns schwer, die negativen Folgen (um nicht zu sagen: die Schäden), die dieser unser technischer Fortschritt mit sich gebracht hat, in Maßen zu halten oder gar zu beseitigen. Wir sind allerdings aufgeschreckt durch die Skandale, die sich insbesondere um die Giftmüll-Skandale der vergangenen Jahrzehnte gedreht haben. Gerade am Beispiel der Dioxin-Geschichte läßt sich hervorragende aufzeigen, wie tief in das biologische Geschehen eingegriffen und uns mit Problemen konfrontiert haben, die wir so nicht erwartet hätten. Doch das ist nur ein weiteres Blatt in einem Geschichtsbuch katastrophaler Ereignisse, die aufzuzählen mir hier verwehrt ist (siehe beispielsweise in "dtv-Ökologieatlas", S.....).

Fortschritt wohin?

Nicht wenige unter uns, und das betrifft zu Zeiten auch mich, können sich des Eindrucks nicht erwehren, als häuften sich die Unglücksfälle, die durch Menschenhand ausgelöst wurden. Dabei sind wir längst nicht mehr so sicher wie früher, ob nicht auch die zahlreichen Naturkatastrophen auf die zahlreichen ökologischen Störungen zurückgeführt werden müssen, die wir dem 'Erdenkörper' (siehe dazu 'Gaia-Theorie') inzwischen angetan haben. Noch wagt es kaum einer auszusprechen, noch sind es wenige Stimmen, die dies in aller Deutlichkeit auszusprechen wagen, doch mehr und mehr schält sich heraus, daß wir im Rahmen einer umfassenden ('biologischen') Systemtheorie keine scharfe Trennung zwischen technologisch ausgelösten und von der Natur in die Welt gesetzten Unglücken unterscheiden dürfen. Nur dem oberflächlichen Betrachter mag es noch gelingen, mit dem Finger auf den einen oder anderen Schuldigen zu deuten.

Sieht man die Dinge etwas anders, so sind uns die Folgeerscheinungen unserer Entwicklung in vielfältiger Weise nahegebracht worden, in leisen Tönen ebenso wie in dem Krachen aus unserer Umwelt, im Lärmen unser Verkehrsströme und in den üblen Knalleffekten, die sich aus unserem schießwütigen Verhalten ergeben haben. Um nicht zynisch zu werden, will ich mich hier jeglichen Kommentars enthalten, wie weit wir in der Kriegstechnik noch in der Lage sind, das uns Gegebene und von uns Machbare zu verantworten. Das mögen diejenigen tun, die sich unmittelbar damit beschäftigen, und zu denen gehöre ich nicht und will ich nicht gehören, weil es über den Rahmen des mir Erträglichen hinausgeht.

Bewußt machen!

So dürfen wir mit Fug und Recht behaupten, daß wir seit mehr als hundert Jahren in einer beispiellosen Entwicklung 'innehalten' (dieses Wort will ich gleich unter die Lupe nehmen) und in unserem Verhalten wie in unserem Denken, in unserem Dafürhalten wie in unserem Fühlen zunehmend mit der Tatsache konfrontiert werden, daß wir nicht mehr unbedarft und unbeschwert dieselbe Entwicklung vorantreiben können, die unsere Väter in die Wege geleitet haben. Ich will hier nicht in das bekannte Horn der 'ökologischen Mahner' stoßen und auf die Auswirkungen im Einzelnen hinweisen. Sie sind inzwischen sattsam bekannt, und haben trotz der Bemühungen Einzelner, noch keine Wende im globalen Denken, noch in den weltweiten Wesenszügen des Menschen gebracht. Wir fahren noch immer fort, die Erde als unsere Spielwiese zu betrachten, die uns mit allen ihren Schätzen und Wundern zur Verfügung gestellt ist, damit wir uns daran 'messen' und unsere Ideen dabei verwirklichen können.

Es ist nicht zuletzt das Verdienst einer materialistischen Weltanschauung, die uns diese Leichtfertigkeit im Handeln und Bedenkenlosigkeit im Denken beschert hat. Wir haben im Zuge dieser materialistischen Entwicklung, die beileibe nicht auf den 'ehemals' kommunistischen Osten beschränkt war, die Materie zu einem seelenlosen Wesen degradiert und behandeln sie wie ein Kind den Sandhaufen, in dem es spielt. Wir bauen unsere Sandburgen und machen sie wieder kaputt, bauen sie von neuem auf, größer und schöner, und haben unsere Freude daran zu sehen, was wir alles schaffen können.

Das hört sich naiv an, und doch ist es gerade diese Naivität, die mir immer wieder ins Auge fällt, wenn ich das zeitgenössische Denken, wie es sich im Weltgeschehen zum Ausdruck bringt, versuche nachzuvollziehen. Doch inzwischen haben wir die 'Pubertätsphase' in unserer technologischen Entwicklungsgeschichte betreten und befinden uns in einem Reifungsprozess, der uns der Unschuld und Leichtigkeit im Machen und Machenlassen beraubt.

Transformation und Transformationsprozesse (Ftsg.)

Es geht also um die Transformation des menschlichen Bewußtseins. Wenn wir 'Evolution' denken, so denken wir an ein gleichmäßiges, stetiges, kontinuierliches, fortgesetztes Sich Entfalten eines Bewußtseins, das - auch - ein Bewußtwerden 'von sich selbst' bedeutet. Doch das ist eine leere Formel, solange man nicht begreift, was dieses 'sich selbst' alles einzuschließen vermag.

'Sich selbst' ist ein so fundamentaler Begriff einer fortschrittlichen Psychologie des Bewußtseins, daß es sich lohnt, ein paar Worte darüber zu verlieren.

Aus sich selbst

Es ist uns als Menschen nicht möglich, mit diesem unserem befangenen Bewußtsein das Bewußtsein an sich oder das Bewußtsein schlechthin zu begreifen. Noch ist es nicht an der Zeit, sich fortgeschrittene Techniken auszudenken, die das sich entfaltende Bewußtsein gleichsam als Objekt vor sich hinstellen und im Objekthaften das zur Anschauung nehmen können, was sich im Bewußtwerden selbst anschaulich machen möchte.

Das heißt, einfach ausgedrückt, wir sind wie Fische im Teich, die sich des Wassers nicht bewußt werden können, solange es ihnen nicht gelingt, sich über die Wasseroberfläche zu erheben und, gleichsam wie Vögel, auf sich selbst als Fisch herabzublicken.

Dieses 'Auf sich selbst herabblicken können' ist ein wesentliches, fortschrittliches Element einer Bewußseinsentwicklung, die sich nun und seit geraumer Zeit schon anbahnt. Wir haben nun die Fähigkeit dazu und dürfen sie nützen. Sie gehört in den Bereich des Intuitiven und einer auf das Intuitive gerichteten Entwicklung, solcherlei Fähigkeiten gezielt und gesondert ins Visier zu nehmen, und an ihr mit allen unseren Kräften zu arbeiten. An diesen Fähigkeiten werden wir künftig gemessen werden, und solange es uns nicht gelingt, in diesen übergeordneten, 'überweltlichen', manchmal 'Seinszustand' genannten Bewußtseinszustand zu gelangen, haben wir grundsätzliche Schwierigkeiten, mit diesem 'Von sich selbst überzeugt werden', 'sich selbst' wahrzunehmen und ein 'sich selbst' überhaupt in angemessener Weise zu denken.

Nach dieser schwierigen Einleitung möchte ich kurz und bündig sagen: 'sich selbst' zu entdecken, ist ein Wesenselement des menschlichen Bewußtseins und dessen, was wir die Evolution des Bewußtseins nennen.

Sinnliche Erfahrung

Wir entdecken 'uns selbst' nicht so einfach, wie wir uns dies vielleicht denken. Denn 'sich selbst' ist in einer Art und Weise ausgebreitet, wie wir uns dies nicht vorstellen können. Dazu müssen wir uns vergegenwärtigen, daß wir unsere gesamte Wahrnehmung von einer (sogenannten) 'objektiven' Welt diesem 'Sich selbst' verdanken. ' Sich selbst' ist im Grunde eine bodenlose Tiefe, in der unendliche Prozesse des Widerspiegelns und Gespiegeltwerdens - und beides muß man zusammennehmen - ablaufen, sich ständig reproduzieren und von neuem in Gang bringen.

Was wir 'ein Haus' nennen, ist ein Stück von 'uns selbst', denn es taucht in unserer Wahrnehmung auf und ist Teil unserer Wahrnehmung, und nicht nur 'das Wahrgenommene', wie es heute als unabhängig von uns gedacht wird. Was habe ich mit dem Haus irgendeines Menschen zu schaffen? Nun, ich kann es sehen. Vielleicht nicht betreten, aber doch anschauen. Und so habe ich mit allem zu schaffen, und schaffe es 'in mir selbst' und 'aus mir selbst' heraus, was mir meine Sicht, um nur eine Sinneserfahrung zu nennen, vor Augen führt. Ich sehe die Vögel am Himmel, die Wolken, das Meer, die Natur schlechthin ... und ebenso die menschlichen Errungenschaften und Werke als ein 'mir zur Anschauung Gegebenes' und dadurch 'in mir als Wahrgenommenes entstehendes' Wesenselement meiner menschlichen Erfahrung. Könnte ich sie nicht sehen, so wäre es außerhalb meines Erfahrungsbereiches.

So schafft uns die Sinneserfahrung eine Welt, die wir im Außen - also in unserer Umwelt - als gegeben und von uns unabhängig erleben. Doch diese Sichtweise ist ein 'spezielles Objekt' menschlicher Entwicklung gewesen. Diese objektive Sicht zu entwickeln, bedurfte es gewaltiger Anstrengungen in einem Ausmaß und auf 'Ebenen des Bewußtseins', die über unser menschliches Verstehen weit hinausgehen. Es ist uns so gegeben, wie uns der Körper mitgegeben ist, und wir können die 'körperliche Welt' (die Welt der Körper) nur in dem Maße erfahren, wie wir in dieser körperlichen Welt wahrzunehmen vermögen.

Schöpferische Sinne

Es gibt Menschen, die im Gebrauch ihrer Sinne - und damit in ihrem Gewahrsein der Welt, in der sie leben, - eingeschränkt leben, leben müssen und leben wollen. Ein Blinder beispielsweise kann die Welt nicht sehen. Er ist auf andere Sinneseindrücke angewiesen, auf seinen Hör- und seinen Tastsinn. Dies fokussiert seine Wahrnehmung in einer ganz spezifischen Weise, die sich ein Nicht-Blinder kaum vorstellen kann. Ebenso ist der Gehörlose auf andere Sinneseindrücke angewiesen, die ihm das Gehör - wie wir es kennen - ersetzen. Es sind Welten für sich, Welten, die derjenige nicht betreten kann, der sie nicht von sich selbst heraus erlebt. Auch wenn wir mangelnde Sinneseindrücke simulieren, beispielsweise indem wir die Augen verbinden oder die Ohren zustopfen, sind wir doch nicht blind oder gehörlos. Wir tun nur so, und dieses 'so tun' ist etwas ganz anderes, als so leben müssen. Dies sei vorausgeschickt, damit wir das folgende verstehen können.

* Unsere normale Sinneserfahrung, die uns (scheinbar) über unsere fünf Sinne übermittelt wird, ist Produkt unserer eigenen Schöpfung - wir schaffen sie gleichsam in jedem Augenblick, und von Augenblick zu Augenblick verändern wir die Welt, wie sie sich selbst zu ändern wünscht.

Das ist das große Geheimnis des Menschlichen, das wir niemals begreifen werden, solange wir Mensch sind. Wir können unsere Wahrnehmung nur im Einklang mit der Wahrnehmung anderer Menschen verändern, wenn wir nicht in verrückte Zustände geraten wollen, und manche tun dies, um damit zu experimentieren - sei es willentlich oder aus Krankheitsgründen.

Sich selbst bewußt sein

Dieser Gleichklang von 'Aus sich selbst heraus schaffen', eine Welt zu reproduzieren, und sie ständig und von Augenblick zu Augenblick zu erneuern, ist ein unerklärliches Wunder, das für uns so selbstverständlich abläuft, daß wir es als Wunder nicht zu sehen vermögen. Und doch begründet es unser normales Menschsein ebenso wie die Tatsache, daß wir dies 'aus uns selbst' heraus vollbringen, ohne uns dessen bewußt zu sein.

Wenn man überhaupt noch den Begriff 'Unterbewußtsein' gebrauchen will, so nur in der Bedeutung eines überragenden 'Über-Bewußtseins', das weit über unser wahrnehmbares und sich selbst bewußtmachendes, sich selbst erlebendes Erfahrungsfeld hinausgeht.

Es ist schon seit langem, und vor allem den Philosophen aller Zeiten, einsichtig geworden, daß Bewußtsein auch bedeutet: Bewußtsein von sich selbst. Bewußtsein kann sich der Tatsache bewußt werden, daß es bewußt ist. So können wir erkennen, wann wir wachen und wann wir träumen. Wenngleich wir in Träumen hin und wieder dem Irrtum verfallen, es sei die schiere Realität, und erst im Erwachen erkennen, daß wir geträumt haben. Daher ist das Traumbewußtsein ein Bewußtsein anderer Art, das von unserem Wachbewußtsein streng geschieden werden sollte.

Nach diesem kleinen Exkurs in Bewußtseinsfragen und die Bedeutung des 'von sich selbst' oder 'aus sich selbst heraus' wollen wir zurückkehren zu unserem Thema 'Transformation und Transformationsprozesse'. Denn anders können wir der Bedeutung dieses Begriffes nicht gerecht werden, als daß wir es als ein manipulierendes Element des 'Sich Selbst' - und hier benutze ich es als Hauptwort und als ein Eigenständiges, das weit über ein objektives anschauliches Element des Menschlichen hinausgeht, und tue so, als sei 'Sich selbst' gleichsam eine weit über uns schwebende, gottähnliche Persönlichkeit, die es so nicht geben mag, und die wir doch als anschauliches Symbol benutzen dürfen. Anders gesagt, dieses 'Sich selbst' transformiert sich in einer Art und Weise, die uns selbst, wie wir uns begreifen und begreifen können, nicht bewußtwerden kann.

Wenn wir also von Transformation sprechen, so meinen wir eine Umbildung dieses 'Sich selbst', die sich in tieferen Schichten von 'uns selbst' - oder von 'mir selbst' oder von 'dir selbst' - ereignet, wie es uns, und dies sei zum wiederholten Mal gesagt, in Gänze nicht erfaßt und begriffen werden kann.

So ist das, was wir von Transformationsprozessen erleben und uns bewußtmachen können, lediglich der Ausläufer einer Welle, die an den Strand unseres Wachbewußtseins spült und nicht mehr ist als ein schwacher Widerglanz eines Lichtes, das in so unendlicher Ferne aufleuchtet, daß es unserer Wahrnehmung nahezu gänzlich entzogen ist. Vergleichen wir es mit einem erleuchten Raum, in dem wir uns nicht befinden, sondern fern ab davon einen schwachen Widerschein des Lichtes entdecken, wie er in die Umgegend aus einem der Fenster geworfen wird.

So dürfen wir vermuten, und dessen bin ich mir gewiß, daß Transformationsprozesse ein tiefes und unergründliches Geheimnis darstellen, von denen wir allenfalls ein oberflächliches Teil wahrnehmen, und dementsprechend allenfalls ein oberflächliches Begreifen erlangen können.

Nach diesem schwierigen Teil wollen wir zum Anschaulichen zurückkehren.

Es ist ganz sicher so, daß wir Transformationsprozesse kennen, daß wir Transformationsprozesse in unserer eigenen Geschichte erlebt haben. Wir haben auf die tiefgreifenden Veränderungen hingewiesen, die während der Pubertät stattfinden. Sie verändern nicht nur unseren Körper, sie verändern uns in allen Bereichen des Menschseins. Sie ändern unser Denken und unser Fühlen, unser Wissen und Erkennen, unser Erinnern und Vorstellen.





Umwälzungen und Krisen

Satz: Die Erde revolutioniert sich fortwährend.

Diesen Satz können wir an den Anfang dieses Kapitels stellen. Dabei sollten wir uns aber hüten, dem Wort 'Revolution' die allgemein übliche und prekäre Bedeutung zu geben. Im landläufigen Sinn versteht man unter einer Revolution den gewaltsamen Umsturz eines politischen Regimes. Etwas tiefer geschaut, sind Revolutionen zumeist als Umwälzungen innerhalb einer Gesellschaftsform erfahren worden und haben sich auf diesen Erfahrungsbereich beschränkt. So kam es zu einem merkwürdig eingeengten Begriff, der das eigentliche Wesen eines 'revolutionären Geschehens' nicht zu fassen vermag.



In Gegensätzen denken

'Revolution' bedeutet wörtlich: Zurückverwandlung - und bedeutet damit das Gegenstück zu einem evolutionären Geschehen. So gesehen, erhält der Begriff leicht die Bedeutung eines Korrektivs - als müßte sich die Evolution selbst korrigieren. Und diese Bedeutung wird ihm nicht zuletzt von den Revolutionären selbst verliehen, die durchweg der Meinung waren, es habe sich in der Gesellschaft etwas falsch entwickelt, das korrigiert und verbessert werden müsse. Da ist es schon eingängiger, sich eine Revolution als Eintreten einer gegensätzlichen Entwicklung vorzustellen, die gleichsam polare Gegensätze in unterschiedlicher Sichtweise zu verschiedenen Zeiten zum Ausdruck bringt.

So verstanden entwickelt sich in der Revolution eine andere Auffassung von Welt und Menschlichkeit, die der gerade herrschenden (oder bisher als gültig erachteten) zuwider läuft. Dies ist insbesondere die Auffassung der Dialektiker, die meinen, es könne sich eine Entwicklung zwischen Polen - also revolutionär - vollziehen. Dies mag man gutheißen, wenn man bestimmte Gesichtspunkte des Menschseins vor Augen hat und diese vor anderen hervorheben möchte. Zum Beispiel das, was uns als Widerstand gegen eine vernünftige Entwicklung erscheint, und was wir gemeinhin als Festhalten an alten Gewohnheiten, Sitten und Gebräuchen zu sehen gewohnt sind. Diese Haltung wird meist den 'Bewahrern' (also den Konservativen) zugeschrieben, die nach dem Geschmack der Fortschrittsgläubigen gegen jedwede Fortentwicklung zu stemmen scheinen.

In der Tat handelt sich es hier um konträre Standpunkte, die beide ihre Berechtigung haben. Das bewahrende Element muß ebenso wie das verändernde in der Weltgeschichte zum Ausdruck kommen und tut es in dem Maße deutlicher, wie sich eine Entwicklung zu beschleunigen scheint.

Unterschiedliche Sichtweisen

In einer solchen sich beschleunigenden Entwicklung stehen wir heute - nach meinem Dafürhalten und dem von Anderen - und daher mag man zur Zeit die Gegensätzlichkeit solcher Standpunkte besonders deutlich sehen, wie dies die beiden folgenden Graphiken verdeutlichen.

Dies bedeutet nun nicht, daß sich die Evolution nach dialektischen Gesetzen bewegt, sondern es bedeutet lediglich, daß man Entwicklung unter dialektischen Gesichtspunkten - oder umfassender: mit einer dialektisch fundierten Weltanschauung - zu begreifen sucht.

Das mag vorausgeschickt werden, damit wir das Evolutionäre in seiner ganzen Bandbreite zu verstehen trachten. Jede Theorie, die wir Menschen über solche fundamentalen Dinge wie eine Entwicklung der Erde, oder die Entwicklung der Menschheit, oder auch nur die Entwicklung eines Individuums, aufzustellen suchen, ist auf das Höchste inspiriert und bringt daher 'ewig gültige Wahrheiten' (um es einmal so sagen) zum Ausdruck.



Abbildung 1

Abbildung 2

Daher bringt es nichts ein, verschiedene Sichtweisen gegeneinander zu stellen und die eine als die gültige zum Dogma zu erheben und die andere, konträre als falsch und verderblich zu verketzern. Jede dieser Sichtweisen birgt einen Teil von Wahrheit, der uns in unserem gemeinschaftlichen Erkennen nützlich und dienlich sein will.

Wir können also nicht umhin, Entwicklungsprozesse im Weltgeschehen, ebenso wie solche der Erde in geologischen Zeiträumen, als ein ungeheuer komplexes Geschehen zu begreifen, das wir allenfalls in winzigen Ausschnitten wahrzunehmen vermögen. Und dies schon aus dem Grunde, weil unsere Zeugnisse über ein solches Geschehen mangelhaft und unzulänglich sind. Doch das ist nicht der wirklich schwerwiegende Grund dafür, daß jedwede Evolutionsheorie oder Entwicklungsgeschichte - man sollte vielleicht besser sagen: Philosophie - sich als unzulänglich erweisen muß.



Mehr Wahrheit?

Vielmehr haben die Schwierigkeiten mit der grundsätzlich mangelhaften Struktur unseres Bewußtseins im Hinblicken auf eine solche Thematik zu tun. Wir sind als Menschen zu befangen, als daß wir Entwicklungsprozesse in der 'dünnen Schicht', die uns als die 'wahrnehmbare Welt' erscheint, verstehen können.

Daran ändern auch nichts die guten Absichten und brauchbaren Ansätzen, die von verschiedenen Schulen im Sinne einer ganzheitlichen oder holistischen Weltanschauung ins Leben gerufen wurden - ich denke hier beispielsweise an die Anthroposophie. Mag man auch noch so hochgestochen und theoretisch fundiert über Entwicklungsprozesse nachdenken und Begriffssysteme hervorbringen, die ein Uneingeweihter kaum noch nachvollziehen kann, so täuscht dies kaum darüber hinweg, daß unser Verstehen unzulänglich bleiben muß, solange es uns einer 'übermenschlichen' oder 'gottähnlichen' Anschauung mangelt.

Dazu stellen auch die inzwischen reichlich aufkommenden 'medialen Durchgaben' (in einschlägigen Kreisen 'Channeling' genannt) allenfalls eine geringfügige Ergänzung dar, denn ganz gleich, welcher Quelle - ob geistiger Führer, Wesenheit, oder gar Erzengl - diese Informationen zugeschrieben werden, der Empfänger ist allemal ein Mensch und daher befangen im menschlichen Denken, und daran ändern auch tiefe Trancezustände nicht, wie sie von verschiedenen Medien berichtet werden.

Wir sind also in einem grundsätzlichen Dilemma befangen, das sich eben darin äußert, daß zwischen Anspruch und Wirklichkeit - gerade im Zusammenhang mit unserem Thema 'Evolution' - sich eine unüberbrückbare Kluft auftut.

Bei aller Unzulänglichkeit kann es also nur nützlich sein, sich der verschiedenen Ansätze, die es im Lauf der Kulturgeschichte gab, um die Herkunft des Menschen und sein In Erscheinung treten in unserer Welt, sein Menschwerden und seine Individuation, immer wieder anzuschauen und zu versuchen, möglichst vorurteilsfrei unterschiedliche Sichtweisen nebeneinander stehen zu lassen.

In diesem Sinne plädiere ich dafür, die wissenschaftlichen Evolutionstheorien ebenso als gültig zu erachten wie die alten Entstehungsmythen und Göttersagen, und darüber hinaus auch die neueren esoterischen Botschaften in unsere Wahrnehmung einzubeziehen. Wenn wir dies vermögen, die verschiedenen Botschaften als Teil einer größeren 'Wahrheit' (sprich: Botschaft) zu sehen, so sind wir, zum gegenwärtigen Zeitpunkt unserer Entwicklung und auf die Zukunft bezogen, besser dafür ausgerüstet, neue 'überragende ' Sichtweisen zuzulassen und sie kennenzulernen. Dabei meine ich, daß der Botschaft, wie sie JANE ROBERTS in ihren SETH-Büchern (und insbesondere in "Träume, Evolution und Werterfüllung") hinterlassen hat, eine besondere Bedeutung zukommt. Doch dies ist meine persönliche Wertung, die in nichts dem widersprechen soll, was ich zuvor gesagt habe. Es also nicht behauptet, daß diese Botschaft in irgendeiner Weise mehr Gültigkeit besitzt als jede andere. Es bleibt einfach dem Geschmack und guten Willen jedes Einzelnen überlassen, welche dieser Botschaften er als gültig und wertvoll und wahrhaftig ansehen möchte, und welche seiner Glaubenssätze er auf diese gründen möchte und einer anderen entziehen.



Mehr Toleranz!

So ist auch heute nichts daran auszusetzen, wenn Menschen sich noch immer dem schlichten Schöpfungsglauben unser alttestamentarischen Vorväter überlassen möchten, wie er uns in der Bibel übermittelt wird, noch ist daran zu mäkeln, daß es Völker gibt, die auf ihre bewährten Traditionen zurückgreifen möchten und gegen eine verwissenschaftliche Sichtweise der Menschwerdung wehren. Hier denke ich beispielsweise an die australischen Ureinwohner, die Aborigines, über deren eigenständige Weltsicht wir in den letzten Jahren zunehmend erfahren haben, und dies in Qualitäten, die wir noch vor Jahrzehnten ignoriert haben.

Es wird sich also wohl erweisen, daß es weit mehr von unserer eigenen Wertschätzung abhängt, welcher Sichtweise wir den Vorzug geben, und wenn wir dies mit einigem Abstand zu betrachten vermögen, so kann uns unsere Auswahl an glaubwürdigen Theorien Einiges über unser eigenes Denken und Glauben und Fürwahrhalten enthüllen.



Sintflut und Eiszeit

Umwälzungen, wie sie die Erde betrafen, sind also unter keinen Umständen und ausschließlich solche, die zu irgendeiner Zeit objektiv stattgefunden haben. Es bedarf immer eines erleuchteten Bewußtseins, um sich solcher Umwälzungen heute - in dieser unserer Gegenwart - bewußt zu werden. Damit will ich zum Ausdruck bringen, daß ein Bewußtwerden über Umwälzungen auf der Erde in gewissen Maße 'Umwälzungen' in unserem eigenen Bewußtsein voraussetzt oder mit sich bringt. Dabei gehe ich allerdings von der Annahme aus, daß es sich hier um mehr handelt als um ein bloßes Zur Kenntnis nehmen von Fakten, die uns von Medien oder Lehrbüchern übermittelt werden.

Es genügt nicht zu 'denken', daß vor ca. zweihundert Millionen Jahren durch irgendwelche Naturkatastrophen die Dinosaurier zum Verschwinden gebracht wurden. Oder daß durch irgendwelche Umwelteinflüsse sich in den letzten Millionen Jahren wiederholt Eiszeiten über die Erde ausgebreitet haben. Wenn wir dies auf eine solch naive Weise andenken, begeben wir uns der eigentlichen Tiefe, die ein solches Thema immer mit sich bringt und in uns zum Klingen bringen möchte. Es bedarf schon einer tiefergehenden Einsicht in Zusammenhänge, von Menschsein, Bewußtwerden und Weltanschauen, um sich solcher Dinge wie Naturkatastrophen, Umwälzungen von globalem Ausmaß geziemend nähern zu können. Schon das geschichtliche Faktum eines Vulkanausbruches - wie beispielsweise der bekannte Ausbruch des Vesuvs, der im ersten nachchristlichen Jahrhundert zum Untergang der Städte Herkulaneum und ... geführt hat, ist ein Ereignis von solch unglaublicher Tiefe, daß jedwede Geschichtsschreibung allenfalls mit der Dürftigkeit eines Polizeiberichtes verglichen werden kann.

Damit will ich gewiß keinen unserer berühmt gewordenen Geschichtsschreiber schelten, sondern nur eine Tatsache vor Augen führen, damit wir unserer Unzulänglichkeit im Denken oder Rekonstruieren geschichtlicher Ereignisse bewußt werden oder bewußt bleiben. Selbst wenn wir Augenzeugenberichte hätten, selbst wenn wir Kamerateams mit modernster Ausrüstung zu Augenzeugen rufen, es brächte uns doch nur ein Gekräusel an der Oberfläche eines tiefgreifenden Geschehens zur Kenntnis, das in seiner Bedeutung von einem Menschen einfach nicht begriffen werden kann.

Ich tue mich daher schwer, über Umwälzungen auf der Erde auch nur einigermaßen würdig zu sprechen, ohne daß mir die Sinne schwinden oder der Atem stockt. Denn ich möchte mich nicht der üblichen Denkweise befleißigen, die solche Ereignisse wie ein Kolportieren von Nachrichten, objektiv und inhuman, handhabt.

Ist es schon unmöglich, katastrophale Ereignisse im Leben auch nur eines Menschen dem Mitempfinden seiner Mitmenschen nahezubringen - und dies zumal dann, wenn diese nicht bereit sind, ihr Mitgefühl mitsprechen zu lassen - so ist es vollends unmöglich, ein größeres Geschehen wie das eines Krieges oder einer Naturkatastrophe in seinem ganzen vielschichtigen Ausmaß in einer würdevollen Weise zu beschreiben. (Hier möchte ich als Beispiel den Kosovo-Konflikt nennen, der nun gerade zwei Jahre hinter uns liegt und unauslöschliche Spuren im Bewußtsein unserer Zeitgenossen hinterlassen hat.)

Umwälzungen und Bewußtsein

Das umwälzende Element unseres Daseins ist ein Revolutionieren unseres Bewußtseins in der Tiefe.

Damit meine ich, daß ein Bewußtsein sich nur aus der Tiefe heraus so grundsätzlich zu ändern vermag, daß es seine Sichtweise so erweitert, wie es üblicherweise der Bewußtseinserweiterung zugeschrieben wird.

Betrachten wir als Beispiel oder Versinnbildlichung einen auf die Spitze gestellten Kegel, so ist dessen Grundfläche dem uns gewahr werdenden Ereignisspiegel, um es einmal so zu sagen, vergleichbar, den wir als Bewußtwerden unserer selbst und unserer Umwelt bezeichnen können. Soll sich dieser Kreis von Bewußthaftem erweitern, so bedarf es einer Vergrößerung, einem Größerwerden des gesamten Kegels, bis in die tiefliegende Spitze, in dem alle "Bewußtseinsfäden" zusammenlaufen. Damit will ich sagen, daß unser Bewußt-Sein, wie wir es zu einer bestimmten Zeit erfahren, und dies ist mehr ein Bewußt-Werden, also ein Prozeß, als ein Bewußt-Sein in des Wortes Sein eigentlicher Bedeutung - ein dynamisches Geschehen darstellt, von dem wir allenfalls die menschseits gelegene Oberfläche - von einem anderen Standpunkt aus mag dies als Tiefe erscheinen - erfassen können. Vergleiche Bild eines Tiefseetauchers usw.

Neues Denken, neues Wahrnehmen

Es kann also bei einer Bewußtseinserweiterung nicht nur darum gehen, neue Sichtweisen unserer selbst und der Umwelt - ich wiederhole dies aus guten Gründen - unserem bisherigen Denken und Dafürhalten einzuverleiben (das ließe sich allenfalls als Faktenvermehrung bezeichnen). vielmehr müssen Denkprozesse anderer Art angestoßen werden, die unser Denken im Ganzen - und das ist mehr als das, was wir an unserem Denken wahrnehmen können - neuordnen, umorientieren und gleichzeitig an den gewohnten Denkstrukturen anlehnen, so daß wir den Schein einer Kontinuität im Denken und Glauben aufrecht erhalten können. Es ist also gleichsam ein Neusortieren all unserer Einsichten, Erinnerungen und Betrachtungsweisen notwendig, bei gleichzeitigem Aufrechterhalten eines Denkmusters, das wir vor der Krise - oder einer solchen Umwälzung - besaßen.

Es bedarf solcherlei Umstrukturierung, damit wir in einem größeren Zusammenhang gewahr werden, was unser Leben im Eigentlichen ausmacht. Das ist nun ein anspruchsvoller Erweiterungsprozess unseres Bewußtseins, den wir nicht allenthalben erfahren. Das soll heißen, daß nicht jeder in seinem Leben eine solche Bewußtseinsumstrukturierung erfährt, und sie daher seit altersher als ein ungewöhnlicher Prozeß mit dem Namen 'Erleuchtung' bedacht wird. In dem kleinen Traktat "Der Erleuchtung ist es egal, wie du sie erlangst" beschreibt ... einige derjenigen Vorgänge, die hier angesprochen sind.

Erleuchtung und erleuchtetes Bewußtseins, sind solch tiefgreifende Bewußtseinsveränderungen, daß wir wahrlich von einer Umwälzung globalen Ausmaßes sprechen können, denn es ändert sich die ganze Weltsicht und die Wesensart des betreffenden Menschen. Das habe ich erlebt, und nicht nur einmal, wenngleich nicht jedes Mal in einer solchen gravierenden Weise, daß man vom Eintritt in ein neues Leben, in ein neues Bewußtsein, von einem Wiedergeboren werden im Körper, eine Inkarnation im Täglichen usw. sprechen könnte. Doch wer es erlebt hat, wird mir in der Auffassung recht geben, daß es hier ein Neuerlernen des bisher Gewohnten bis hin zu einfachen Tätigkeiten, bis hin zur Handhabung der Sprache, bis hin zum Bewerkstelligen alltäglicher Verrichtungen kommen kann.

In der Tiefe unseres Wesens

Es ist mir nicht gegeben, solche Vorgänge in ihrer grundsätzlichen Eigenart zu beschreiben und mehr darüber zu sagen, als in alten Büchern über die Erleuchtung und das Erleuchtet sein - in der biblischen Sprache heißt es auch 'Verklärung' - berichtet wird, und das ist wenig genug. Esoterische Schulen alter Provenienz, früher wie heute, widmen sich diesem Thema sehr viel ausführlicher, als ich es hier tun möchte. Denn es ist nicht das Alltägliche und nicht das, was jeden unserer Zeitgenossen zuweilen betrübt - denn auch eine Erleuchtung hat durchaus Betrübliches im Gefolge -, wenngleich sich heute so mancher auf das Erlangen eines erleuchteten Bewußtseins kapriziert, und dies in entsprechenden Zirkeln und preisgünstigen Seminaren zu erreichen sucht.

Nach meinem Dafürhalten ist es unmöglich, sich im Erleuchtet werden zu schulen - andere sehen dies anders, siehe beispielsweise bei Mantak Chia. Dennoch kann es nützlich sein, und ich würde dies manchen meiner Zeitgenossen anraten, sich über grundsätzliche Bedingungen des Erleuchtetwerdens, damit sie den Prozeß als solchen wahrnehmen und sich nicht aus falschen Vorstellungen heraus dagegen spreizen. Denn das Erleuchtetwerden ist nicht nur ein innerer Klärungsprozeß und gewiß nicht so, als würde man ein Licht anschalten, wo vorher Dunkelheit herrschte, sondern es ist ein Entwicklungssprung von so gewaltigem Ausmaß, daß es in der Regel zu schmerzlichen, wenn nicht gar lebensgefährlichen Prozessen kommen kann. Damit will ich niemanden Angst machen und doch der Mär entgegentreten, als handle es sich hier um ein himmelhochjauchzendes Erweckungserlebnis wie solche, die von religiösen Eiferern herbeigesehnt werden.

Andererseits ist mir klar, daß es eine solche Palette von Möglichkeiten geben muß, daß sich Schlüssiges und Endgültiges über solche Umwälzungsprozesse nicht sagen läßt. Ich neige zur Vorsicht und zu der Annahme, daß das Eintreten eines so gravierenden Ereignisses in das menschliche Leben einschlägt wie eine Bombe, und nicht selten werden Erleuchtungsprozesse mit alltäglichen Unfällen, von denen es heutzutage reichlich gibt, oder schwerwiegenden Erkrankungen kaschiert.



Verborgene Erleuchtung

Solche Prozesse, die eine Umstrukturierung im Wesenskern des Menschen mit sich bringen, werden also nicht selten vor der Umwelt und dem Betroffenen selbst verborgen.

In diesen Themenkreis gehören meiner Ansicht nach auch (zumindest einige) der zahlreichen Komafälle, über die wir immer wieder hören. Manches von dem, was die aus dem Koma Wiedererwachten berichten - neue Lernschritte bis hin zur Wiedererlangung der Bewegungsfähigkeit und des körperlichen Ausdrucks - können einer solchen tiefgreifenden Umwälzung zugeschrieben werden, auch wenn nicht in allen Fällen offensichtlich wird, daß der Betroffene eine Bewußtseinserweiterung erfahren hat.

Ähnliches läßt sich vermutlich auch über die Nahtoderlebnisse Einzelner sagen - und man mag dazu die Literatur hinzuziehen, wenn weitere Informationen gewünscht werden.

Es gibt offenbar Umstellungen unseres Wesens 'in der Tiefe', die in der Tat mit dem Neu Geborenwerden vergleichbar sind und die hin und wieder notwendig erscheinen - wem und warum eigentlich? -, um der Psyche des Menschen neue Ausdruckswege oder neue Erfahrungshorizonte zu ermöglichen.

Wir sollten uns also davon distanzieren zu glauben, daß solche Umwälzungen unseren Horizont immer erweitern, unser Bewußtsein vertiefen und uns durchweg zu Weisen machen. Die Weisheit im Gefolge einer Erleuchtung mag einige Zeit andauern, doch Weisheit ist nichts Statisches, und sie kann nicht gehortet werden wie eines unserer materiellen Güter.

So zumindest habe ich meine Erklärungsphasen erlebt, und ich sage bewußt 'Erklärungsphasen', weil ich in solchen Zeiten innere Botschaften empfing, die mir die Welt in anderer Weise erklärten, und dies auf eine Weise, wie ich mir dies zuvor und aufgrund meines bisher erworbenen Wissens nicht ausdenken konnte.



Bewußtseinswandel

Was soll's also? Wir wechseln unsere Sichtweisen und unser Bewußtsein zu Zeiten wie die Reifen an unserem Auto, wie die Kleidung, wenn sie abgetragen ist, und sind immer noch am Leben, am Leben wie wir es verstehen.

Erfährt man dies wiederholt und in mancherlei Weise, so verliert sich der Schrecken und die Angst vor solchen Prozessen ebenso wie die Illusion, man könne sich nun der Wahrheit wie einer nackten Jungfrau bedienen.

Was wir in solchen Erleuchtungsphasen sehen, ist umfassender als unser Wissen und Weisen zuvor, das ist wahr. Ob es aber wahrhaftiger, gültiger und wertvoller ist, steht auf einem anderen Blatt. Offenbar neigen wir Menschen noch immer zu einer Überheblichkeit, die uns das rechte Augenmaß verbiegt. So sollte uns ein Satz, den ich über einen erleuchteten buddhistischen Bruder einmal gelesen habe, eher zur Richtschnur dienen. Er antwortete auf die Frage, was er danach getan hätte: "Ich ging und machte mir einen Tee."

Wenn ich jemanden raten sollte, und etwas zu raten hätte, dann wäre es wohl der Rat, in allen außergewöhnlichen Bewußtseins-Eklats so gelassen wie möglich zu bleiben und zu sich selbst ein wenig auf Distanz zu gehen - und vor allem, seinen Humor nicht zu verlieren.

Damit können wir vielleicht am besten solchen überraschenden Situationen begegnen, wie sie während einer solchen inneren Umwälzung vonstatten gehen. Und begegnen tun sie uns allemal, und nicht selten scheinbar von außen, und deshalb ist der Schock, der mit solchen Bewußtseinsprozessen einher geht, das größere Problem als die Frage, was wir danach tun würden.

Was immer wir in einem erleuchteten Zustand sehen, was immer wir wahrnehmen - es ist ein flüchtiger Eindruck von der Welt im Großen, und das heißt auch ein wenig in der Tiefe. Und wie tief und wie groß, das kann nur der beurteilen, der dies alles von außen betrachtet, und das ist einem Menschen nicht möglich. Und zumal deswegen nicht, weil wir uns im Großen und im Tiefen zu leicht verschätzen.



Nehmen wir also Umwälzungen in unserem Leben als gegeben hin und ordnen sie den natürlicherweise auftretenden Krisen zu, wie wir sie in der Kindheit häufig, im Erwachsenenleben hin und wieder erleben.

Damit schließe ich das Kapitel über Umwälzungen und Entwicklungen, und möchte noch ein paar Bemerkungen zu den Bewußtseinsprozessen der Materie anfügen, denen wir in der Physik als Phasenumwandlungen begegnen.

Formwandel in der körperlichen Welt

Ich selbst war, während meiner Ausbildung in Physik, über einen längeren und für mich wesentlichen Zeitabschnitt auf dem Gebiet der Phasenumwandlungen in Festkörpern tätig und habe ohne Kenntnis größerer Zusammenhänge an den dabei auftretenden Problemkreisen gearbeitet. Erst sehr viel später ist mir bewußt geworden, wie beispielhaft und symbolisch diese meine Tätigkeit für mein späteres Interesse an Übergangszuständen und Transformationsprozessen im menschlichen Leben gewesen sind.

Wir denken uns gemeinhin die Materie als leblos. Wir, von der zivilisierten Seite der gegenwärtigen Welt glauben noch immer, und unsere Wissenschaftler voran, daß Lebendes aus dem Leblosen eines fernen Tages in der Vergangenheit entstanden ist. Wir rätseln, falls wir dazu noch Zeit haben, daran herum, wie dieser Vorgang der Lebensentstehung stattgefunden haben mag. Dazu gibt es inzwischen komplexe Theorien, die samt und sonders auf die Kenntnis molekularer Bewegungen angewiesen sind.

Moleküle und Atome sind für uns Menschen heute so gegenwärtig und real wie das Auto auf der Straße und das Haus um die Ecke. Wir haben diese Bestand-Teile unserer Welt - es sind nicht die letzten Kleinen, wie man vor hundert Jahren noch glaubte, zu Handlangern unserer Analysenmethoden gemacht. Gen-Technologie beispielsweise beruht auf Molekularbiologie. Molekularbiologie beruht auf der Kenntnis von (leblosen) Molekülen, die angeblich das lebendige System regulieren. Genetik ist nach heutiger Auffassung Molekularphysik.



Reale Welt - gedachte Welt

Wie H . Pietschmann in seinem Buch "Die Wahrheit liegt nicht in der Mitte" gleich zu Anfang ausführt, sollten wir den Unterschied von Faktum und Wirklichkeit, von faktisch und real, kennen. Es ist uns benommen, Moleküle ohne Hilfsmittel der Technik zu sehen, sie anders als durch die Augen des 'technischen Gerätes' wahrzunehmen. Es bedarf dazu nicht nur der entsprechenden Gerätschaft, es braucht auch die zugehörige Theorie. Das Faktum des Atoms ist also ein mathematisch-wissenschaftliches, kein anschauliches. Daß wir es alle kennen - weil gelernt haben , an seine Existenz zu glauben - ändert nichts an dieser Tatsache, wie das von Pietschmann aufgeführte Beispiel 'Winnetou' (im Vergleich zu 'Geronimo') lehrt.

Für den Wissenschafter, genauer gesagt, für den Naturwissenschaftler, ist das Atom allerdings faktisch und darf als faktisch angesehen werden (siehe dazu C.F.v. Weizsäcker in 'Zeit und Geist', S. .... ). Ebenso darf er die Evolutionstheorie, die den Urknall an den Zeitanfang unseres ('wissenschaftlichen') Universums stellt, als faktisch verstehen.

Der aufgeklärte Mensch von heute, der sich der Wissenschaft bedient, ohne ihr sklavisch zu dienen, darf dies zur Kenntnis nehmen und wahlweise davon Gebrauch machen - also das Atom, das Molekül mal als Faktum, mal als Fiktion betrachten. Das ist der Gang zukünftiger Dinge, daß wir - wie H. Pietschmann vor mehr als zwanzig Jahren schrieb - das Ende des naturwissenschaftlichen Zeitalters vergegenwärtigen. Wir werden uns zunehmend des Charakters dieses gigantischen Glaubenssystems 'Wissenschaft' bewußt und können und sollen uns dazu emanzipiert verhalten. Was immer ihre Anhänger von ihrer Naturwissenschaft behaupten mögen, sie ist letztlich nur eine Disziplin der ('Geistes'-) Wissenschaften und kann, wie die anderen Geisteswissenschaften auch, als bindend nur für diejenigen gelten, die sich zu ihr bekennen. Dieser Bekenntnischarakter darf und soll uns heute bewußt werden, damit wir wieder den geistigen Freiraum erhalten, den eine Fortentwicklung der Wissenschaft im Ganzen so dringend braucht. Mehr möchte ich an dieser Stelle zu diesem fundamentalen Problem heutiger Entwicklung nicht sagen.

Bewußtsein ist fundamental

Die im vorigen Kapitel angestellte Standortbestimmung muß vorausgeschickt werden, damit wir unsere üblichen Denkgepflogenheiten erst einmal wahrnehmen, bevor wir damit beginnen können sie zu ändern.

Es gab zu allen Zeiten, und es gibt auch heute noch in anderen Kulturen, ein völlig anderes Verständnis von Leben als das uns geläufige. Doch dieses Verständnis beruht nicht auf unseren wissenschaftlichen Konzepten, die für uns eine über jeden Zweifel erhabene Glaubwürdigkeit besitzen. Auf einen einfachen Nenner gebracht, läßt sich der heute gültige 'wissenschaftliche Glaube' über die Entstehung des Bewußtseins etwa so darstellen: 'Materie formiert sich zu Lebendem, Lebendes formiert sich zu Bewußtem, Bewußtes bildet als seine höchste Ausprägung den Menschen'. Punkt und Ende der Wissenschaftlichkeit.

Darüber hinaus wird noch ein wenig Raum für Religion und Transzendenz, oder umgekehrt, falls jemand Lust darauf verspürt. So einfach wollen wir es uns nicht machen. Wir haben in der Tat Lust auf Transzendenz, wenngleich wir keine Religion daraus machen wollen.

Bewußtsein i s t

Beginnen wir daher unseren Erklärungsprozess am anderen Ende und stellen folgende Hypothese auf:

* Bewußtsein existiert und ist nach unseren Begriffen zeitlos und transpersonal. Es sprengt damit jeden Rahmen und jede Begrenzung, die wir ihm in unserem Denken zuweisen möchten. Es ist somit grenzenlos, und dennoch in der Lage, sich einzugrenzen auf sich selbst. Sich in den mannigfaltigen Brennpunkten zu konzentrieren, die wir ein 'Lebewesen' nennen und die uns als Lebensform bekannt sind - und dies mag nur ein winziger Ausschnitt aus Lebensmöglichkeiten und Wesensmöglichkeiten sein, die unser menschliches Gewahrwerden uns einspielt.

So gesehen ist jeder Teil von etwas, den wir als wesentlich erkennen, also auch ein Molekül, auch ein Atom, auch ein Elektron usw. ein Brennpunkt dieses grenzenloses Bewußtseins, das sich 'in sich selbst' Ausdruck verschafft.

Dieses 'In Sich Selbst' kann man nicht erkennen, allenfalls ahnen. Es hat damit zu tun, daß Bewußtsein sich selbst bewußt werden kann und ein Bewußtmachen anderer Bewußtseinsformen einschließt. Das ist und bleibt ein Geheimnis des Bewußtseins, das im Grenzenlosen geborgen ist und bleibt.

Nur nebenbei, Geheimnisse sind mehr als nur etwas, das man nicht weiß, aber wissen könnte. Geheimnisse entziehen sich prinzipiell unserem Wissen, weil sie jenseits der Grenzen beheimatet sind, die uns unser Bewußtsein von uns selbst, gestern wie heute wie morgen, setzt. Wir sollten darüber nachdenken, ob wir die Welt ihrer Geheimnisse entblößen wollen und die Wundern dieser Erde entmythologisieren. Wenn uns klar geworden ist, daß wir damit unsere Sichtweise, und schließlich auch unsere Weltanschauung, radikal verstümmeln und uns absichtlich für wesentliche Teile unseres Wahrnehmungsbereiches blind machen, und dies um einer einseitig verstandenen und gehandhabten 'Wissenschaftlichkeit' willen, können wir darauf verzichten und Geheimnisse als solche bestehen lassen.

Und doch bleibt diese Haltung wie Sichtweise als unserer persönlichen Entscheidung überlassen, und auch dann noch, wenn es uns darum gehen muß, welches dieser Geheimnisse wir als Geheimnis betrachten wollen, und welches als erforschbares Neuland.

Diese Fragen und die darauf gegebenen Antworten werden auf alle Fälle eine neue Wissenschafts-Ethik begründen, derer wir so dringend bedürfen.

Lebendiges Bewußtsein

Doch zurück zu unserem andersartigen Denkansatz. Bewußtsein macht sich selbst bewußt, und dies im Wechselspiel mit Anderen. So dürfen wir vermuten, daß alles, was uns als Teil eines 'Größeren Ganzen' unserer Wahrnehmung begegnet und was unserem Bewußtsein zu unterscheiden erlaubt und möglich ist, ein SELBST und ein ANDERES ist. Ein Anderes für mich, wo es für Dich genommen, ein Selbst ist. Und das gilt für jedweden Teil, der sich mir zu erkennen gibt.

Ich will gerne zugeben, daß damit mehr Rätsel aufgegeben als gelöst sind. Und doch ist daran nichts zu ändern, denn das Leben - und mehr noch 'das Bewußtsein' - bleibt für sich und für uns rätselhaft.

Damit es Rätsel lösen lernt, ist es tätig, und dieses tätige Bewußtsein nennen wir 'lebendig'.

Es ist nach meinem Dafürhalten Unfug, eine Stufenleiter der Evolution einzurichten, die mit dem Leblosen beginnt und mit dem bewußten Menschen endet. Und zu jeder Zeit in seinen Teilen Bewußtes auf Lebendiges, kaum noch Bewußtes und schließlich 'Unbewußtes' auf Unlebendiges zurückführt - und am Ende uns glauben macht, wir 'bewußt denkenden Menschen' wüßten über dieses Unbewußte und Unlebendige besser Bescheid als über uns selbst.

Betrachten wir als einfaches Beispiel das Wasser. Jeder kennt Wasser, und jeder weiß, daß es für unsere Existenz lebensnotwendig ist. Wenn wir unserem Körper kein Wasser zuführen, leiden wir Durst. Wenn wir zu lange Durst leiden, siechen wir dahin und sterben schließlich.

Doch was ist 'Wasser' eigentlich?

Transformationszustände im Besonderen

Ein Fall von Krise

Da ist Herbert. Herbert ist ein Mann in mittleren Jahren, der es sich immer schwer gemacht hat. Warum er es tut, ist im unerfindlich und seinen Freunden ein Rätsel. Es geht ihm nicht schlecht. Er hat einen guten Beruf, soll heißen, er geht einer angesehenen Tätigkeit als Verwaltungsangestellter nach, die ihm Befriedigung verschafft, wenngleich sie ihn auch belastet. Doch wem geht es nicht so, wer empfindet seine Berufstätigkeit zuweilen als Belastung, die ihn zum Ächzen und Stöhnen bringt?

Das also ist es nicht, was ihn bedrückt. Es ist auch nicht seine Anstellung, denn er stellt sich geschickt an und ist beliebt bei seinen Kollegen - wie es in seinem Zeugnis heißt -, hat Verantwortung über seinen Bereich, macht seinen Vorgesetzten keine Schwierigkeiten, hat es also zu etwas gebracht. Das gilt auch für seine materielle Existenz, die durchweg gesichert ist. Er kann für sich sorgen und sorgt sich nicht im Übermaß um seine Zukunft, und schon gar nicht wegen seiner makellosen Vergangenheit. Er lebt Tag für Tag, hat klar vor Augen, was er zu tun und zu lassen hat, und ist ein Muster an Pflichterfüllung und Ausgeborgtsein.

Letzteres ist vielleicht sein Problem, und daher will ich diesen nicht geläufigen Begriff kurz erklären. Er hat sich in gewisser Weise selbst verborgt. Er hat sich dem Leben geliehen, das er führt. Er stellt sich zur Verfügung, wo immer es nötig ist. Das soll heißen, er ist hilfsbereit und tut, was man von ihm verlangt, und noch darüber hinaus. Er ist nicht aufsäßig, leistet keinen Widerstand, nimmt die Dinge wie sie sind, ohne etwas zu hinterfragen. Er führt Befehle und Anordnungen aus - die meisten kommen ohnehin in Form von Akten, Anordnungen und Regelungen aller Art auf seinen Schreibtisch, viel seltener in einer mündlichen Ansprache. Er gibt selbst Anweisungen aus, und auch diese selten mündlich oder telefonisch, sondern in Form von Anordnungen und Regelungen aller Art, die seinen Schreibtisch verlassen.

So kennt er sich nur, und seit langer Zeit schon, als jemand, der sich zur Verfügung stellt und sich zur Verfügung hält, und dies auch in seiner Freizeit, wenn andere es sich zu Hause gemütlich machen. Das also ist sein Ausgeborgt sein, daß er sich eingebaut weiß in das Räderwerk einer Verwaltung - um nicht sagen zu müssen 'Bürokratie' -, die es sich angediehen sein läßt, die Dinge in Ordnung zu halten und neue Ordnungen zu schaffen, wo alte, scheinbar oder wirklich, nicht mehr ausreichen.

So ist er im Grunde ein lebendig gewordenes Ordnungsprinzip eher als ein lebendiger Mensch, der impulsiv und lebhaft in den Tag hinein geht, und lebendig und schöpferisch träumt, wenn ihm der Schlaf gelegen kommt. Er ist, wenn man es vom medizinischen Standpunkt aus betrachtet und man es von daher beurteilen will, gesund und hat nicht mehr an Krankheitskeimen auszustehen als andere, und das heißt: das übliche Maß an Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Appetitmangel, Unruhe, .... wie es jeder in unserer Zeit und zumal in unserer durchorganisierten Welt als normal erlebt. Das ist es also nicht, was es zu bemängeln gibt, und doch gibt es einen Mangel, und ein Mangel macht sich bemerkbar und kündigt sich an in solchen Symptomen, wie sie in aller Normalität aufgehoben scheinen und aus der sie dennoch hin und wieder auftauchen.

Nicht, daß er sich über irgend etwas beklagen könnte. Das hat er längst verlernt. Er ist Junggeselle und dies aus guten Gründen, wie er glaubt. Er ist eigenständig, wenngleich nicht unabhängig - oder unabhängig, wenngleich nicht eigenständig in der Arbeit. Und so lebt sein Leben sich selbst und borgt sich das eine oder andere von ihm und hält es vor ihm verborgen, und er merkt es nicht, bis es an der Zeit ist.

Und eben diese Zeit ist es, die heutzutage als 'midlife crisis' (engl., also Krise in der Lebensmitte) bekannt und die so häufig geworden ist, daß sie wiederum zur Normalität zu gehören scheint.

Mitte des Lebens

Die 'Mitte unseres Lebens' scheint einen Wendepunkt zu markieren, der so unbestimmt, nicht ortenbar und unauffällig ist wie der geographische Nordpol. Mit dem Unterschied allerdings, daß man sie nicht vermessen kann wie jenen, denn keiner weiß die Stunde seines Todes, und so mag er im Zweifel darüber bleiben bis an sein Lebensende, wann genau er die Mitte seines Lebens erreicht hat.

Doch das ist hinfällig, wenn sich die 'Mittenwende' ankündigt. Selten kündigt sie sich durch Auffälliges an. Meist sind es kleine Unauffälligkeiten, die unseren Alltag ausmachen, unsere Gewohnheiten verschärfen, die unser Leben so festgezurrt und festgezimmert haben, daß es sich wie ein Zug auf der Schiene nur noch vorwärtsbewegen kann. In diesem einseitigen Vorwärtsbewegen kommt ein Stillstand zum Ausdruck und macht sich bemerkbar, und lange zuvor schon im Gefühlsbereich. Doch wir merken es nicht, bevor sich nicht die typischen Krisenmerkmale, für uns und andere klar erkennbar, einstellen. Und andere klar erkennbar, das ist wahr, denn oft erkennen es andere eher als daß wir selbst sie wahrnehmen. Ist es das nagende Gefühl des Unbefriedigtsein, des nicht mehr genau Wissens, was man eigentlich will? Ist es der Mangel an Entscheidungskraft, ein Holprigwerden des einst so flüssigen Lebensablaufes, ein Ächzen zuviel und ein Stöhnen auch dort, wo es uns früher leicht gefallen ist? Ist es eine Sich ausbreitende Müdigkeit, ein vages Dämmern von Hoffnungsverlust? Ist es ein Brüchigwerden der einst so festen Überzeugungen? Ein bohrender Zweifel an dem, was richtig ist? Ein Einknicken des Selbstbewußtseins und Selbstvertrauens?

Dies und anderes kann es sein, doch meist ist es zunächst eine Spur von jedem, und insgesamt eine Spur zuviel. So geraten wir ganz allmählich aus der Spur, die wir in unsere Lebensmitte eingegraben haben und verlieren nach und nach das Gefühl, in unserer Mitte zu sein. Doch das geht so allmählich von statten, daß wir sie längst verloren haben, wenn wir ihren Verlust zu ahnen beginnen.



Gewendet durch und durch

Wie gesagt, so kann es sein - wie bei Herbert - so muß es nicht sein. Und doch ist er ein recht typisches Beispiel für so viele von uns, die in dieser modernen Welt ihren Platz gefunden haben und sich, zumindest in Teilen, aufgeben mußten. Doch was haben sie aufgegeben, wo sie doch so vieles gewonnen haben, so vieles erreicht haben, so viele Ziele verwirklichen konnten?



Die Träume von einst

Man muß schon weit zurückgehen in seine Jugend oder Kindheit, zumindest aber bis in die wachen Zeiten der eigenen Pubertät, muß sich erinnern an Kinderwünsche und Jugendträume, um eine Ahnung davon zu bekommen, daß man wohl das eine verwirklicht, vieles aber aus dem Auge verloren hat, das einmal wichtig gewesen ist. Nicht, daß wir schon zynisch geworden sind. Nicht, daß wir zu den ewigen Nörglern und Neinsagern gehören, die jedwedes positive Gefühl in sich und anderen abtöten möchten. Das sind die Ausnahmen. In der Regel ist es ein Grauschleier, der sich über die ach so scharfe Photographie unseres Daseins im eigenen Denken und Dafürhalten legt. Ein Einschläfern der Phantasie und Vorstellungskraft, ein Abtöten des Strebens nach Ungewöhnlichem, Aufregendem, Abwechlungsreichem, das uns in der Jugend noch ausgezeichnet hat.

Der Verlust von so vielem, ... Träume von einst in Vergessenheit gerieten. Das und ein bißchen mehr, taucht in der Lebensmitte und Mittenkrise auf, wenn es dahin kommt. Das heißt, es muß nicht dahin kommen und viele von uns vermeiden sie und haben sie nicht nötig. Doch wo sie auftaucht, trägt sie alle Züge einer Sackgassenerfahrung, eines Endes, wo kein Ende ist, einer Einbahnstraße, wo nie eine Einwegregelung bestanden hat, eines Nichtigwerden all dessen, was einmal wertvoll gewesen ist.

Das mögen wir noch einige Zeit, mag sein auf Jahre, vor uns verbergen, weil wir uns in Betrieb halten. Und zumal dann, wenn wir in Betrieben eingebaut sind, ganz gleich, welcher Art. Das Umtriebsame einer solchen Tätigkeit läßt uns weiterlaufen, als hätten wir den Schwung einer schweren Masse und gleichzeitig deren Trägheit, die unsere Bewegung voranbringt, und auch dann noch, wo wir ihr selbst keine eigenen Impulse zu geben wünschen.

Lebensmitte und die darin eingebetteten Krisen stellen immer, oder doch zumeist, ein Mittigkeitsproblem dar. Doch das sagt sich so leicht, und Verlust an Mitte ist ein schönes Wort, das dem wenig sagt und noch weniger hilft, der sie erleidet und überwinden muß. Das also ist der Verlust, den es zu tragen gilt, der korrigiert werden möchte, und er korrigiert sich dort von selbst, wo es notwendig ist.

Das ist das Schöne an unserem Dasein, daß solche Korrektive eingebettet sind und Regelungen aus unserem Inneren hervorbrechen, und dies auch dann, wenn wir sie nicht wünschen oder sie gerne von uns weisen möchten. 'Es regelt sich auf die eine oder andere Weise!' sagen wir gerne, und das bestätigt sich auch hier.

Nimm Urlaub

Herbert nimmt Urlaub, weil ihn sein Chef - ein einsichtiger älterer Herr übrigens - darum bittet. Von sich aus hätte er den Schritt nicht getan, doch unter vier Augen hat dieser verständige Herr ihm bedeutet, es sei für ihn und den Betrieb im Ganzen besser, wenn er eine Zeitlang ausspannt und sich ein wenig mehr um sich selbst kümmert. Wohl dem, der einen solchen Chef hat, und wohl dem auch, der einen solchen Rat annimmt.

Um es kurz zu machen, Herbert fährt in Urlaub, wie es sich eben ergibt, und es ergibt sich im Reisebüro. Er findet sich bald wieder in Süditalien, wo er gar nicht hinkommen wollte, leidet Mangel um Mangel zuerst, weil ihm seine liebgewordenen Gewohnheiten abgehen, und er sich in einer Welt zurechtfinden muß, die seinem Ordnungssinn in vielen kleinen Dingen widerstrebt und hohnlächelt. Hier ist niemand, der sich nach seinen Anordnungen richtet, außer vielleicht der Zimmerkellner, und auch der tut es nur hin und wieder.

So dämmert er ein paar Tage vor sich hin, bis ihm aufgeht, daß er hier entweder versauern kann oder zurückkehren in seinen Beruf und in seine liebgewordenen Gewohnheiten, oder aber - und in diesem Fall wählt er die für ihn günstige Alternative, ein wenig locker lassen und sich hineinschicken in das, was er sich selbst beschert hat.

So geht er also eine Zeitlang am Meer spazieren, nimmt seine Mahlzeiten für sich ein, schaut den Menschen zu, die ihm begegnen und keine Notiz von ihm nehmen, der er ist ein durch und durch unauffälliger Herr. Auffällig ist er allenfalls in seiner Unauffälligkeit, in seiner unaufdringlichen Starrheit, in seinem Bemühen, allem aus dem Weg zu gehen und jede Konfrontation zu vermeiden.

Aus der Sackgasse

Doch auch auf diesen Umwegen ereilt ihn sein Schicksal in Form einer netten Familie, die nicht ganz so zaghaft ist, wie er sich dies wünschen mag, und die ihn munter einbezieht in ihre Gespräche, nachdem man feststellt, daß man aus der selben Gegend Deutschlands stammt. Da gibt es etwas zu erzählen und zu berichten und zu hören, denn Herbert ist nicht gewohnt, von sich selbst zu sprechen, und so erfährt er dies und das über Konrad, den Vater, über Margarethe, die Mutter, und über die Marco, den Kleinen und Suzie, die Große, und schließlich Fifi, den Rauhhaardackel. Und da es in dieser Familie munter zugeht, nimmt man nicht viel Rücksicht auf seine Eigenheiten, und das ist sein Glück. Er wird eingeladen, mit an den Strand zu kommen, er wird eingeladen, sich an den Mahlzeiten zu beteiligen. Man freut sich über einen geduldigen Zuhörer, und so hört er mehr, als ihm lieb ist. Er hört die Kleinen streiten, und die liebevollen kleinen Neckereien der Eltern. Er hört das Gemäkel über das dürftige Essen und das unpassende Klima, denn natürlich ist es viel zu heiß und zu trocken und zu laut. Aber er erfährt auch die grundsätzliche Lebensbereitschaft, die diese Familie auszeichnet und die er inzwischen bei sich zu vermissen beginnt.

So einfach ist das. Er wird einbezogen und erfährt sich im Einbezogensein in seiner grundsätzlichen Verschiedenheit, und das wird ihm immerhin bewußt.

Die Geschichte ist hier nicht zu Ende, sondern sie spinnt sich fort und fort, und als der Urlaub zu Ende geht, ist Herbert ein wenig anders geworden. Nicht viel, aber er hat etwas in sich entdeckt, was er nun nicht mehr missen möchte. Er hat entdeckt, daß ihm eigentlich eine Familie fehlt. Er hat entdeckt, daß er im Grunde sein Junggesellendasein nicht mehr so genießen kann wie früher, und daß er ziemlich einsam ist und das Geborgensein in einer eigenen Familie zu vermissen beginnt.

Eine neue Mitte

Es ist noch nicht so, daß das für ihn jetzt schon eine große Rolle spielt. Und doch spielt es in seinem kommenden Leben eine große Rolle, denn er kehrt zurück und schaut ein wenig anders in die Welt, und läßt ein wenig das Suchende in seinen Blick. Nur wenig zuerst, doch nach und nach mehr, und so wendet sich sein Leben und sein Mittigsein kommt zurück, wenn auch langsam und im Lauf von Jahren.

Das ist nicht das Ende der Geschichte von Herbert, denn seine Geschichte geht weiter und weiter, so wie unsere Geschichte auch weiter geht, wenn Krisen kommen und Krisen gehen, und wir sie überstanden haben.

Geschichten zeigen häufig Wendepunkte in der einen oder anderen Weise. Unauffällig manche, dramatisch die anderen, ganz wie es das Leben mit sich bringt. Und ob sie als unauffällig oder dramatisch empfunden werden, hängt so sehr von unserem eigenen Empfinden und Dafürhalten ab, daß es sich nicht lohnt, nach äußeren Kriterien Ausschau zu halten.

Die Mitte verlieren, ist ein schönes Thema und ein wesentlicher Punkt aller Überlegungen zu den Transformationsprozessen. Denn jeder Prozeß bedeutet einen Verlust an Mitte, notwendigerweise, und ein Wiedergewinnen einer neuen Mitte, die erst gefunden sein will.

Denn was ist die Mitte, die Mitte von was? Eine schwierige Frage, der wir uns noch zuwenden müssen. Doch zunächst müssen wir etwas klären, das längst überfällig ist: die Frage, was ein Prozeß ist. Wir haben so einfach von Transformationsprozessen gesprochen, als sei dies ein selbstverständliches Wort, das jeder kennt und durchschaut. Doch das ist nicht so einfach mit dem Durchschauen, wie wir gleich sehen werden. Leider wird es nun wieder etwas abstrakter, doch das erscheint mir hier unumgänglich.

Selbsterregung - ein Prozeß
Leben als Prozeß?

Im Grunde wissen wir gar nicht, was ein Prozeß ist. Wie haben wohl eine ungefähre Vorstellung davon, und es gibt auch ausreichend Theorien darüber, die es uns gestatten, Prozesse zu beschreiben und zu lenken, in Gang zu halten und die von uns gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Denken wir dabei an die Produktion von Stahl oder von Computerchips, an das Abfüllen von Bier in Flaschen oder das Verpacken von Schokolade, ...

Das alles ist so einleuchtend und geht uns ein und in die Hand, und es begründet letztlich unsere Industrie, die man als fortwährendes Starten und Lenken von Prozessen beschreiben könnte. Ich möchte dies so allgemein und oberflächlich erwähnen, weil es lediglich dazu dienen soll, uns eigene Gedanken zu machen.

Schließlich sprechen wir von dem Lebensprozeß als solchem als einem 'In Gang Halten' ähnlicher Prozesse, wie wir sie in unseren technischen Anlagen selbst bewerkstelligen können, nur um so vieles verwickelter und umfangreicher, daß wir noch nicht im Stande sind, diesen Lebensprozeß selbst in Gang zu bringen.

Es gibt wohl nicht wenige unter uns, die vermuten, es werde dem Menschen eines Tages gelingen, Leben im Labor zu schaffen - denn was bedeutet letztlich die Frage "Was ist Leben?" - und damit den letzten Schritt zur Allmacht Gottes', dem Schöpfer und Vollender allen Lebens tun. Das mag wiederum dem einen oder anderen als Gedankengang widerstreben, und zumal dann, wenn er sich für religiös hält, und doch möge jeder in sich forschen, ob er solche Überlegungen für absurd, blasphemisch - oder für die Zukunft als lösbare und uns gestellte Aufgaben ansieht.



Krisen im Leben

Damit bin ich nun beim eigentlichen Thema, das mich wieder in den Transformationsprozeß (ein unschönes Wort, wie ich in diesem Zusammenhang gerne einmal zugeben möchte) führt.

Es ist mir nicht gegeben, den Transformationsprozeß in seinem eigentlichen Ablauf auch nur annähernd zu beschreiben, noch weniger, ihn zu verstehen. Das ist die Quintessenz meiner bisherigen Erfahrung aus solchen Erlebnissen, die ich als Transformationskrisen bezeichnet habe, um Abschnitte meines Lebens in einer für mich und andere verständlichen Weise zu benennen. Ich weigere mich nach wie vor und aus guten Gründen, die ich hier nicht alle nennen kann, dieses Geschehen während der Transformationskrisen als krankhaft, absonderlich oder gar absurd zu betrachten. Vielmehr regt es meinen schöpferisch tätigen Verstand dazu an, immer wieder über das Erlebte nachzudenken und für mich selbst Schlußfolgerungen zu ziehen, die es mir gestatten, mein normales Leben unter einem anderem Blickwinkel zu sehen.

So möchte ich sagen, daß die Transformationskrise oder überhaupt das Krisenhafte in unserem Leben lediglich ein Teil eines mir im Ganzen unverständlichen Vorganges, genannt 'Leben', ist, den zu 'erleben' ich auf die Erde gekommen bin. Würde ich ihn verstehen, so wäre ich nicht Teil von ihm, sondern ihm übergeordnet. Das bin ich nun sicher nicht, keiner von uns ist es.

Das Leben, mein Leben ebenso wie Ihres, vollzieht sich in einer unübersehbaren und wohl abgewogenen Dynamik - Dynamik verstanden hier als Wechselspiel von Kräften, die wir erfahren, aber im Grunde nicht auszulösen vermögen. Das betrifft die Muskelkraft ebenso wie die Lebenskraft, die technisch realisierten Kräfte in unseren Industrieanlagen ebenso wie die Kräfte, die in Sturm und Wind, in Lawinen und Waldbränden, in Erdrutschen und Vulkanausbrüchen am Wirken sind. Es betrifft noch viel mehr als ich nennen kann, und so sollen diese Beispiele nur zur Anregung für eigene Gedanken dienen.

Kraft und Dynamik

Die Kraft selbst ist (nicht hat) ein geheimnisvolles Wesen, der wir so wenig beikommen können wie der Energie, der Zeit, dem Licht oder dem Tod. Doch jeder erfährt Kräfte in seinem Leben, die uns so wohl vertraut sind, daß wir sie als alltägliche Erfahrung gewohnt sind. Da ist beispielsweise die Schwerkraft, die wir im Wachen ohne Unterlassen ans uns erfahren. Sie wirkt an uns in dem, was wir 'Körper' nennen in einer Art und Weise, die wir als naturgesetzlich gegeben betrachten. So erscheint es dem normalen Menschen westlicher Prägung unvorstellbar, dieser Kraft anders zu begegnen als durch Anstrengung und Gegenkraft - eine meditativ hervorgebrachte Levitation ist für uns Humbug oder allenfalls ein Gerücht. Wenn ich ein Gewicht vom Boden heben will, so muß ich mich eben anstrengen und eine dem Gewicht entsprechende Gegenkraft aufbringen, sonst kann ich den Gegenstand nicht heben. Das ist uns aus der Physik geläufig, und es hat über lange Zeit die Kraft als fundamentaler Begriff eine beherrschende Rolle im Denkgebäude der Klassischen Physik gespielt.

In der Neuzeit nun ist es dem Menschen gelungen, und wiederum mit Hilfe seines physikalischen Wissens, Kräfte freizusetzen, die wir dem Namen nach alle kennen - die Atomkraft, entfesselt in den Atombomben des vergangenen Jahrhunderts, die Kernkraft, die es uns noch heute erlaubt, Energie in einem bisher noch nicht dagewesenen Ausmaß zu gewinnen.

Die Kraft der Natur

Kräfte, so scheint es, sind in der Natur latent verborgen, sie können entdeckt und genutzt werden. Das geschieht zumeist auf technologischem Weg, und das ist eine Wissenschaft für sich. Die Beherrschung der in der Technik auftretenden Kräfte ist inzwischen Aufgabe unübersehbarer Industriezweige ebenso wie der Wissenschaft, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Natur solcher Kräfte zu erforschen.

Doch noch immer sind uns die Kräfte der Natur unheimlich. Was immer wir an Technik einsetzen, um uns gegen die überwältigenden Kräfte der Natur zu wappnen, wie sie in den Naturkatastrophen zu Tage treten, ist ungenügend, wenn die Naturgewalten zuschlagen. Kräfte, wie sie den Erdbewegungen, sichtbar in Erdrutschen wie in Vulkanausbrüchen, zugrunde liegen müssen, gehen über das uns Verfügbare - und Verstehbare - hinaus.

Doch um eine andere Kraft geht es mir hier, in diesem unserem Zusammenhang von Mensch und Krise - um die Lebenskraft. Die Lebenskraft zu stärken, sie gar zu wecken, wo sie schwach und unfähig erscheint, das Leben im Menschen zu erhalten, gilt manchen als das vordringliche Ziel einer fortschrittlichen Medizin. Und diesem Gedanken kann ich mich nicht verschließen.

So geht es recht eigentlich auch um Kraft, um Lebenskraft, beim Lebensprozeß selbst, den wir in einer besonderen Eigenart beschreiben wollen. Leben als Prozeß sagt uns nicht viel, zumal dann nicht, wenn wir nicht eigentlich im Umgang und Verstehen von Prozessen geübt sind. So ist dieses Prozeßmodell, so anschaulich und vertraut es auch klingen mag, ein Denkmodell, das nur den Sachverständigen etwas zu sagen weiß, und diese wiederum eher in die Irre führen wird als zur Erleuchtung ihres inneren Wissens.

Es besteht ein grundsätzlicher Unterschied, oberflächlich betrachtet, zwischen den Lebenskräften und den auf technischem Wege entfesselten Kräfte, und dieser Unterschied hat mit unserem Willen zu tun. In Technik und Industrie verwirklicht sich der Mensch in seinem Wollen und Sich Vorstellen in einer ungeheuer schöpferischen Weise. Das ist uns Menschen heute so anschaulich und bis in den Alltag hinein verfügbar als Erfahrung und Lernfeld, daß ich nicht im Einzelnen darauf einzugehen brauche.

Dagegen äußert sich in den Lebenskräften der Wille der Natur, und diese ist uns, wiewohl sie Grundlage unseres eigenen Lebens und Daseins ist, weithin hinter dem Schleier des Geheimnisses verborgen. Daran ändert auch nichts unsere so ausgeklügelte Naturwissenschaft, die sich dem Verständnis technologischer Zusammenhänge zumeist, der Beschreibung biologischen Geschehens nur in geringerem Umfang zugewandt - und aus ihm heraus sich entwickelt - hat.

Technik - ein natürliches Geschehen?

Es ist naheliegend, daß wir uns, geführt und verführt durch den uns aufgezwungenen technischen Fortschritt, dazu verleitet sehen, alles natürliche Geschehen, die Natur selbst zwischen Himmel und Erde, auf der Grundlage unseres technologischen Wissens zu beschreiben suchen. Es wäre paradox, wenn wir es anders hielten. Wir haben ein so ungeheures Wissen über technische Vorgänge und die Machbarkeit des Technischen angesammelt, daß wir uns heute kaum vorstellen können, daß es jenseits dieses gewaltigen Wissens noch etwas anderes geben könnte, etwas von gänzlicher anderer 'Natur', das zu wissen wir bisher versäumt haben.

Nun, ich meine, das gibt es - und das ist die Natur selbst. Wiewohl ich heute nicht mehr bereit bin, Technik als ein 'unnatürliches', aus der Natur herausgelöstes Geschehen zu begreifen, so weiß ich doch, daß viele unter uns Natur und Technik als gegensätzlich, von einander geschieden und unvereinbar ansehen. Doch hier deuten sich, soweit ich sehen kann, nur unterschiedliche Positionen an. Positionen, die auf der einen Seite von Technokraten, auf der anderen Seiten von Ökologen besetzt sind. Das Wechselspiel dieser beiden Sichtweisen hat in der Vergangenheit so manche Auseinandersetzung hervorgebracht und zur Klärung unseres Verständnisses von Natur und Technik - und beidem - beigetragen. Daher scheint mir immer wieder der Gedanke notwendig, es nicht bei der Aufteilung von Natur und Technik zu belassen oder sie gar als feindselig gegeneinander aufzufassen und auszuspielen, denn das tut die Natur auch nicht.

Natur bringt selbst Technik hervor, und wir, die Menschen, sind eingefügt und teilnehmend an diesem Geschehen. Daß wir dabei unsere eigenen Ziele und Wege verfolgen, unsere eigenen Vorstellungen und Gedanken entwickeln dürfen, ist der 'Natur der Natur' inbegriffen und also Teil eines natürlichen Geschehens, das wir schlicht und einfach nicht überblicken können, noch in elaborierten Theorien und hochreichenden Philosophien begreifen.

Die Natur der Wissenschaft

Doch fragen wir uns einmal, wie sehr und wie tief wir denn das natürliche Geschehen aufgrund unseres modernen Wissens, einschließlich der Quantentheorie, verstehen. Ich behaupte, daß wir weder die Himmelsmechanik noch das atomare Geschehen wirklich - und das heißt aus sich heraus - begreifen. Unmöglich gar ist es uns, die Lebensvorgänge im eigenen Körper zu überblicken oder gar zu begreifen, selbst wenn wir alles Wissen aus Anatomie, Physiologie, Biochemie und Biophysik im Kopf und zur Verfügung hätten.

Das menschliche Bewußtsein ist offenbar nicht in der Lage, sich Gedanken anderer Art zu machen als solche, die diesem Bewußtsein innerhalb eng gesteckter Grenzen - abhängig von einer jeweiligen Zeitepoche - möglich sind. Ich denke, daß wir einen ersten wichtigen Schritt zur Erkenntnis von Lebensvorgängen tun, wenn wir dieses prinzipielle Begrenztsein unseres (wach-) bewußten Denkens und Wahrnehmens akzeptieren und in unsere Überlegungen einbeziehen.

Dabei fällt mir auf, daß ich Denken und Wahrnehmen nicht als Begriffe in einen Satz hätte bringen sollen. Mir ist geläufig, daß meine Gedanken irgendwie mit meiner Wahrnehmung zu tun haben, und daß ich keine Wahrnehmung machen kann, weder gewollt noch ungewollt, ohne daß sich in mir Gedanken dabei bilden. Das ist ein eigenartiges Feld, das wir noch beackern müssen. Doch zunächst wollen wir es bei dem üblichen Verständnis von Gedanken und sinnlicher Erfahrung belassen und damit diesen meinen Gedankengang über das, was wir an dieser unserer heutigen Zeit wahrnehmen und in unseren Gedanken bewegen können, runden und abschließen.



Der Lebensprozeß als natürlicher Vorgang

Das ist ein Kapitel für sich, das ich hier nur andeuten will. Wir sind Teil eines natürlichen Geschehens, das sich im Großen vollzieht und uns die Möglichkeit gibt, uns in uns selbst zu erfahren. Das ist selbst für mein Verständnis nur eine Formel, die mir ahnungsweise sagt, daß es hier um ein tieferes Verständnis von mir selbst geht, als ich es in meinem menschlichen Bewußtsein und Gewahrwerden jemals überblicken kann. Mir scheint, daß ich gleichsam nur ein Regentropfen bin, der in einer Gewitterschauer zur Erde fällt. Und doch ist dieses mein ganzes Leben, an dem ich noch Teil habe und von dem ich weiß, daß es im Schoß der Erde begonnen hat und dort zu Ende gehen wird.

Jedem ist dies so klar, daß wir uns im Allgemeinen keine Gedanken darüber machen, und Fragen darüber der Religion, der Meditation, der Philosophie oder Metaphysik zuweisen. Und doch ist dies genau die Bedingung, unter der ich lebe, unter der jeder lebt, jeder Mensch und jedes Lebewesen überhaupt.

In diesem gewaltigen Lebensstrom ein winziger Tropfen zu sein, ist mehr als ein wunderbares Ereignis. Es ist selbst ein so wunderbares Geschehen, daß wir des Wunderns nicht Genüge tun können, wenn wir es darauf anlegen und uns darauf einlassen.

Dieses Wunder begründet eine Art von Identität, die sich im ICH-Bewußtsein ausdrückt: ich bin mit mir selbst identisch. Das ist eine Bewußtseinserfahrung, die über das alltägliche Ich-Bewußtsein hinausgeht. Gerade in den Bewußtseinskrisen, die ich erlebt habe, ist mir die Bedeutung dieses Satzes immer wieder, und immer wieder auf eine neue Weise, deutlich gemacht worden.



Wer bin ich?

Nicht, daß ich nach einer solchen Deutung gesucht hätte. Sie hat sich mir unmittelbar, in direkter Erfahrung, aufgedrängt. Ich könnte es so versuchen zu beschreiben: ich habe mich als Teil von etwas, das ich bis dahin noch nicht kannte und noch heute nicht kenne, von dem ich lediglich zu denken weiß, daß es etwas mit meinem 'größeren Wesen' zu tun hat. Seit ich dies begriffen habe, bin ich viel eher in der Lage, mich und meine bisherige Lebensgeschichte als Lebensäußerung dieses größeren Etwas aufzufassen (dabei ist 'fassen' nicht wörtlich zu nehmen, denn es ist mehr ein Ahnen und in Umrissen und Andeutungen Gewahrwerden als ein verstandesmäßiges Begreifen). Das Wunderbare ist nun die Erkenntnis, daß dieses größere Wesen' nicht Gott ist - bewahre! Ich bin es selbst. Dieses 'Ich bin es selbst' möchte sich nun immer wieder erfahrbar machen und tut es in jenen besonderen Lebenslagen, die ich Transformationskrise genannt habe, mehr als sonst. Doch würden wir darauf achten - und es für möglich halten - so könnten wir es jeden Tag, in dieser Stunde oder Minute ebenso entdecken. Wir bräuchten uns nur Zeit zu gönnen, darüber zu sinnieren', wer wir sind und was wir über uns wissen. Solche Fragen führen zwangsläufig in ein Richtung des Erkennens die ich hiermit andeuten möchte und die zu verfolgen sich lohnt, auch dann, wenn man sich nicht für einen Philosophen hält. Etwas über mich selbst zu erfahren, erscheint mir wesentlich. Bewußtseinskrisen sind eine Hilfe (-Stellung) dazu. Sie öffnen uns Erfahrungshorizonte, die uns im Alltäglichen nicht sichtbar und nicht zugänglich sind. Daran bin ich in der Tiefe beteiligt. Ich in meinem größeren Wesen und doch nicht im Ganzen. Denn ich (wie ich mich kenne!) kann nur immer als Teil beteiligt sein und teilnehmen an einem Geschehen, das sich in einem größeren Ausmaß, Vorgehen und Ablaufen vollzieht, als mir zu kennen möglich ist. Als Ich bin ich immer Teil, und als Teil gibt es immer ein Größeres Ganzes für mich.

Dieser Satz ist nichtssagend, wenn man ihn nicht erfährt, wenn man nicht erlebt, wie und auf welche Weise, und auf welche besondere Weise für jeden Einzelnen, es geschieht.

Und doch können wir aus diesem Kapitel mitnehmen, daß wir so gängige und geläufige Aussagen wie 'ich selbst', 'mich selbst', 'uns selbst', usw. neu überdenken und versuchsweise begreifen müssen.

Damit will ich das Kapitel über Selbsterregung vorläufig abschließen. Und das war ein notwendiger Schritt, um das Vorgehen von 'Sich Selbst' in Krisen besser zu verstehen.

Erregendes und Erregtes

Dienstag, 29. August 2000

ES ist einerseits ein erregendes Feld und ein Feld von Erregendem und Erregtem in einem. Es läßt sich einfach nicht zerlegen in Quelle und Wirbel - oder in Ursache und Wirkung - wie dies beispielsweise noch in der klassischen Feldtheorie von Maxwell gekonnt worden ist.

Erregendes und Erregtes sind für uns wahrnehmbar in unserer sinnlichen Erfahrung und sollten als solche bestehen bleiben - ich mache hier also einen phänomenologischen Ansatz - über jegliche Deutung hinaus. Hätten wir nicht diese Art von Sinneserfahrung und Sinneswirklichkeit, so gäbe es nichts, worüber wir sprechen könnten. Erregung ist also kein Produkt unserer Phantasie noch ein leerer Begriff, sondern die Beschreibung von Erscheinungen in unserem Leben, die uns wahrhaftig bekannt sind und bekannt werden können.

So ist also das Erregende aus sich selbst' die Quelle, die mir auf ewig (was immer dies heißt) verborgen ist. Ich weiß weder, woher die (elektrische) Ladung kommt, noch was die Ladung ist, die das (elektrische) Feld erregt, das ich in seinen Wirkungen beobachten kann. Damit ist dem physikalischen Bemühen um eine Erklärung dessen, was erregt, und Benennen des Erregers ein Ende gesetzt. Ich sehe die Wirkungen und kann allenfalls auf Erregendes schließen. Dem Erreger selbst Namen zu geben, ist zwar üblich, hat aber Nachteile, wie wir heute wissen. Ganz gleich, ob wir die Erreger eines Feldes im physikalischen Sinne meinen (seien sie nun als elektrische Ladungen benannt oder als schwere Massen, Quantensprünge von Elektronen im Atom oder ...) oder Bakterien und Viren, wie man die biologischen Erreger nennt. Wir wissen nicht wirklich, was sie sind und Vermutungen darüber anzustellen oder gar Bilder von ihnen anzufertigen ist zwar die heute gängige Methode und führt doch zu nichts, als zu einem verzerrten Weltbild. Wir wissen einfach nicht, wer der Erreger ist.

So lassen wir die Frage nach dem Erreger im Grunde oder Erreger in der Tiefe (ich sage hier bewußt nicht 'Erreger an sich', denn das führt auf ein lösbares philosophisches Problem) beiseite und sagen: das Erregende selbst ist unbenennbar, einerseits, oder das, was in mir die Erregung bewirkt, ist für mich nicht in Gänze erfaßbar und allenfalls im Erspüren / Erfühlen der bewirkten Erregung als eines von mir wahrnehmbaren Zustandes zu begreifen.

So ist streng genommen jedes Bild, das ich tagtäglich vor meinen Augen sehe, eine in mir bewirkte Erregung meines optischen Sinnes, und ich wage gar nicht daran zu denken, was dieser in Wirklichkeit sei. Alle unsere Sinneserfahrungen, Bilder sowie Geräusche und Töne, Gegenständliches Ertastetes, Geruchs- und Geschmackserlebnisse sind Erregungszustände eines uns gegebenen Potentials, das wir - und hier in Anlehnung an die Physik - als Erregungspotential bezeichnen dürfen.

Ein Erregungspotential wird real

Wir haben als Erregungszustände deswegen, weil wir sie haben können. Wären sie nicht als Möglichkeit in uns vorhanden, so könnten sie nicht realisiert werden. Das entspricht einer gängigen Auffassung, und an dieser will ich vorläufig festhalten. So mag es uns helfen, Erregungspotentiale in Physik und Biologie als vorhanden (und das heißt, für uns wahrnehmbar) zu betrachten. Es mögen noch mehr Erregungspotentiale existieren, d ie sich unserer Wahrnehmung entziehen. Diese Frage müssen wir, wie heute üblich, wenn auch nicht allgemein gebräuchlich, offen lassen.

Es ist also, und damit komme ich wieder auf mein voriges Thema des Erkennens zurück, meinem Erregungspotential zuzuschreiben, daß sich Gedanken in mir erregen können, daß Gedanken in mir entstehen können, daß Gefühle oder Emotionen auftauchen mögen, die mich buchstäblich in Aufregung versetzen. Die Theorie des Orgasmus selbst ist ein Beispiel für das, was wir Erregung nennen können.

Es gibt im Grunde nur e i n e Erregung - das ist natürlich tendenziös, weil man so oft nach dem Einen sucht, doch hier ist es nützlich - die sich in vielen Varianten, oder über viele Wege, mitteilen kann. Das Erregungspotential, das wir besitzen, hat also gleichsam Sparten der Wahrnehmung oder Ausprägungen, in den uns Erregung bewußt werden kann. So gesehen ist Bewußtsein als sinnliche Wahrnehmung und Gedankliche Reflexion selbst wieder eine Erregung dieses Potentials und wiederum eine Sparte insoweit, als es menschliches (Wach-) Bewußtsein anbelangt.

Daß sich in uns andere Formen des Bewußtseins regen können und sich erregen lassen, das wissen wir aus dem Schlaf und den Träumen, die wir aus diesem hin und wieder mitbringen. Es ist jedem Einzelnen überlassen, ober er diese als zu ihm gehörig und seinem menschlichen Vermögen zugehörig betrachten will - oder sie als pures Rauschen seiner Nervenzellen, oder als sinnlose Phantasieprodukte abtut. Das ist ebenso ins Belieben jedes Einzelnen gestellt wie der ganze Ansatz, den ich mir hier ausdenke und dessen Tragweite ich in diesem Moment nicht erfassen kann.

Es scheint mir wichtig zu sein, den Begriff der Erregung (und den davon abgeleiteten Begriffen) einen zentralen Rollenwert einer Philosophie natürlicher Ereignisse zuzubilligen.



Leben ereignet sich

Ich beschränke mich hier auf natürliche Ereignisse, weil ich anders Natur nicht erfahren kann, so glaube ich, als durch ein Sich Ereignen - und hier bin ich in einer Linie mit neueren Vorstellungen von C.F.v.Weizsäcker, wie er sie in seinem Buch "Zeit und Wissen" dargestellt hat.

Die Welt ereignet sich, und sie ereignet sich innerhalb eines Erregungspotentials, das mir selbst unbegreiflich ist, weil ich es nur in seinem Faktisch werden (und das bedeutet auch, denkbar sein) erkennen kann. Daß wir dabei in Randbereiche des Erkennens hinein geraten, ist mir klar. Denn ich möchte nicht nur das klare logische Denken, nicht nur die rationalisierende Denkweise unserer westlichen Tradition eingeschlossen und umfaßt wissen, sondern auch alle Formen des Spürens, Fühlens, Ahnens ... oder welche Worte wir immer in unserer Sprache, in jeder Sprache, dafür entwickelt haben mögen.

Es ist mir also nicht möglich, in diesem Zusammenhang mehr über das Erregende zu sagen, als daß es ein Sinnfälliges ist in einer Art und Weise, die alle Sinne einschließt, und ich kann bei weitem nicht wissen und noch erspüren, welcher Art diese Sinne alle sein mögen. Und sie nicht abzählen, das versteht sich von selbst.



Erregung ist elementar

Dienstag, 29. August 2000



Noch haben wir uns nicht >dem Erregenden< in diesem Kapitel. Weder der Erregung als Begriff, noch der Frage, die ich mir selbst stelle: was bringt mich dazu, mir Gedanken darüber zu machen und darüber zu schreiben?

Das Erregende ist ein zentraler Begriff in meiner Philosophie - wenn ich diese als solche bezeichnen möchte, doch das steht hier nicht in Frage - des Lebens, wie es mir erscheint.

Nach meiner Ansicht sollte jeder Philosophie, ganz gleich welcher Art, mit einer Selbstbiographie dessen beginnen, der vor hat, seine Gedanken in Form eines logischen Gebäudes anderen Menschen (und Wissenschaftlern insbesondere) anzudienen. Es ist nicht unerheblich zu wissen, wer wie über was denkt. Diese Frage will ich hier ausklammern, und mich an die üblichen Konventionen halten, also Gedanken von mir geben, ohne ihre Herkunft, ihre Eigenart und ihr Zusammensein mit mir und meiner Eigenart hervorzuheben. Und doch scheint es mir für die Zukunft notwendig, eine solche Selbstreflexion auf das, was ich bin und wie es sich in dem was ich denke und sage darstellt, anzustellen. Es ist, so gesehen, ein Unding, Gedanken auf die Reise zu schicken und sie ihre Wirkung tun zu lassen, und ihnen hinterherzudenken, sei seien so etwas wie ein Abstraktum von mir selbst, etwas, das zwar aus mir herausquillt und herausflüchtet, und doch nichts mit dem zu tun hat, was mich in meinem Leben ausmacht und geformt hat. Nun, das überläßt man üblicherweise den Interpreten, und diese werden erst tätig, wenn sich eine Philosophie behauptet und ins Lehrbuch der Geschichte, oder Wissenschaft oder beidem, eingegangen ist. Das will ich von meiner Philosophie nicht annehmen, und so ist es mir unbeschadet erlaubt, meine Gedanken für mich zu behalten oder sie nach meinem Dafürhalten zu verweben und zu verspinnen mit Erinnerungen aus meinem eigenen Erlebten. Daher möchte ich hier das Erregende als Denkmodell mit einer kleinen Geschichte einführen, die mir dazu einfällt.

In meiner Erinnerung

Es führt mich zurück in die Zeit, als ich noch in als Physiker tätig war und eine große Maschine (groß in meinen Augen und Maschine, wenn man es mit philosophischen Augen betrachtet, wir nannten es damals eine experimentelle Anlage oder eine Anlage oder einfach ein Experiment). Und doch ist mir diese Maschine, die ich im Kreise von Kollegen und mit diesen zusammen in wenigen Jahren konzipiert und gebaut hatte, wie eine Maschinerie meines Lebens erschienen. Meines damaligen Lebens insofern, als sie sich in mein Leben hineingefressen hat, mich und meine Gedanken, meine Vorstellungen und Absichten über weite Teile des Tages, des Jahres, und einer für mich damals nahen Zukunft buchstäblich verschlungen hat. Nenne man es Ehrgeiz oder Forscherdrang, oder irgendetwas in dieser Richtung, es ist mir noch erinnerlich, wie sehr ich damals davon abhing, dieses Wesen, daß mir als Maschine leblos, als Wesen jedoch hin und wieder lebendig und eigenwillig erschienen ist, zu den erhofften Ergebnissen zu führen oder zu verführen.

Ich sehe mich also vor dieser Maschine stehen und sie fürchten und ehren und lieben in einer sicherlich zwiespältigen Art und Weise, denn sie spreizte sich meinem Bemühen so oft und so gründlich, daß ich nicht selten in Verzweiflung darüber geriet. Es schien mir über lange Zeit unmöglich, dieses Wunderwerk an Technik - in meinem kleinen Dasein war es ein solches -so zum Leben zu erwecken, daß es in dem mir gewünschten Sinne funktionierte.

Es gab eine Hochspannungsanlage am einen Ende, eine Tieftemperaturvorrichtung am anderen Ende, und dazwischen spannte sich eine Vakuumanlage, die mir meist besondere Sorgen bereitete. Wenn das eine funktionierte, versagte in der Regel das andere. So gelang es mir erst nach Jahresfrist, ein gültiges Experiment zustande zu bringen. Ich weiß noch, wie heiß ich damals war und darauf brannte, diesen Erfolg nun für mich auszunützen und alsbald weitere, hoffentlich erfolgreiche Experimente zu machen. Doch just am darauf folgenden Tag begann mein lange geplanter Urlaub, und dies bedeutete Urlaub mit meiner Familie, und besonders mit unseren beiden kleinen Kindern, deren älteste gerade zwei Jahre alt war.

Das brachte mich so gehörig aus dem Konzept, daß ich die ganze Urlaubszeit über nichts Rechtes mit mir anzufangen wußte. Dabei war ich mir des Anspruches der Familie an meine Anwesenheit- und diese nicht nur körperlich - bewußt und versucht ihr zu genügen. Und konnte doch der Erregung nicht Herr werden, die mein erster experimenteller Erfolg in mir ausgelöst hatte. So mag, der solches nicht kennt, so recht vermuten, daß es nun, nach diesem gelungenen Experiment, nichts natürlicher gewesen sei als sich entspannt und befriedigt und ganz der Erholung und Beschäftigung mit den Kleinen zu widmen, die ihre eigene Vorstellung von einem Familienleben hatten. Was immer sie sich vorgestellt haben, ich weiß es nicht mehr, sie wollten beschäftigt sein und suchten Erregendes auf ihre Weise, etwas, das ihr Neugierde befriedigte und ihrem Bewegungsdrang entsprach.

Das konnte ich in meinem damaligen Zustand nur so unvollkommen leisten, daß es mir noch heute Gewissensbisse verursacht, wenn ich daran denke. Und doch habe ich keine Schuldgefühle gegenüber mir selbst, denn ich weiß, daß diese Art Erregung, die mich erfaßt hatte, Teil meiner Wesensnatur war und aus dieser hervorgesprudelt ist, daß sie nach eigener Betätigung suchte und dies in einem Umfeld, das ich mir wahrlich lange genug erarbeitet hatte und nun, von einem Tag auf den anderen, missen mußte.

Der Vollständigkeit halber sei dazugefügt, daß es noch Jahre dauerte, bis es mir gelang, mit diesem Problem fertig zu werden und den ständigen Wechsel der Erregung zwischen dem Bereich physikalischen Experimentierens und dem Bereich menschlichen Miteinanders, vor allem in der Familie, auf befriedigende Weise zu bewältigen.

Erregung und Anspannung

Es gibt eine Erregung, die wohl an Fanatismus grenzt, und dem Fanatismus selbst liegt eine Erregung zugrunde, die dem davon nicht Erfaßten unverständlich sein muß. So ist das Fanatische in manchen Menschen nicht einfach ein schiefes Verhalten oder eine Blindsichtigkeit gegenüber anders gearteten Fakten und Zusammenhängen, die sie nicht sehen wollen, sondern ein für sie selbst unbegreiflicher und unkontrollierbarer Zustand. Das mag zur Entschuldigung auch derer dienen, die wir ob ihrer heute so gerne verurteilen möchten.

Erregung ergibt sich im Leben des Einzelnen wie in Teilen der Gesellschaft oder in weiten Bereichen der Erde wie ein Wunderwerk der Natur und ist für mich nicht wesentlich verschieden von dem Entstehen eines Hurrikan, einer Springflut, eines Hochdruckgebietes oder einer Virusepidemie. Es gibt wohl in diesem Erdenkörper - und ich bitte hier den Begriff 'Körper' weit genug zu fassen, so daß er möglicherweise so etwas wie eine Seele einschließt - Zustände der Erregung, die uns auch bei gutwilligem Hinsehen unverständlich sind. Wir wissen nicht, was einen Vulkanausbruch verursacht. Wir wissen ebenso wenig, was einen plötzlichen Wirbel in der Erdatmosphäre entstehen läßt und zu Ende bringt. Es sind 'Eruptionen des Geistes', wenn man so will, ebenso wie Wesensäußerungen der Materie und ich mache hier und fürderhin keinen Unterschied mehr zwischen diesen beiden.

Denn ob wir Materie als geistig, oder Geist als materiell begreifen wollen, wir in diesem materiellen Universum oder geistig begriffenen Dasein - und beides ist nur eine Frage des Standpunktes und der damit verbundenen Sichtweise - sind machtlos im Beherrschen solcher Erregungskräfte (diesen Begriff erkläre ich später) wie in dem Verstehen der damit verbundenen Zusammenhänge.

Das Außergewöhnliche

So kann es nur darum gehen, Erregungsphasen in unserem Leben als solche zu begreifen suchen, indem wir sie wahrnehmen und sie als gesondert und abgehoben betrachten von Zuständen minderer Erregung. Das ist es, worauf es mir ankommt.

Menschen sind im Allgemeinen in der Lage, Erregungsphasen an sich selbst wahrzunehmen, sei es ein plötzlicher Zornausbruch, eine Aufregung über dieses oder jenes Ereignis, eine Reaktion auf einen spannenden Film, oder ein eigenes Erlebnis, das denselben Thrill (man spricht auch von Nervenkitzel) hervorruft.

So sind beispielsweise Kriegsverläufe Zustände der Erregung im Menschlichen ebenso wie in der Natur. Denn nichts, was dem Menschen zur Erregung verhilft, ist von der Natur gesondert, von ihr unbeeinflußt oder läßt diese gänzlich in Ruhe. Das gilt um so weniger, je mehr sich die Menschheit ausgebreitet, je wirkungsvoller sie sich bewaffnet hat. Denken wir an die Kriege des vergangenen Jahrhunderts, so ist uns klar, daß wir in eine neue Stufe der Kriegsführung - der Weltkriege nämlich - eingetreten sind, die nun und auch in Zukunft, die Natur in einer Art und Weise einbeziehen, die vorher unvorstellbar war. Dies betrifft nicht nur die Art der Bomben, die zu bauen wir nun im Stande sind, der Flugkörper, die wir entwickelt haben (und noch weiter entwickeln) - es betrifft auch die Art des Umgangs damit. Es scheint, als sei die Erregung, die sich im persönlichen Kampfgeschehen noch als körperlich wahrnehmbarer Zustand gezeigt hat, nun einseitig auf die Opfer verlagert. Je mehr Kräfte wir maschinell freisetzen, um so kühler, um so weniger erregt scheint der zu sein, der den Knopf drückt. Zuletzt auf unser aller Bildschirme sichtbar im Kosovo-Konflikt, der ein Beispiel für diese Art von maschineller Kriegsführer gewesen ist. Doch dort, wo die Bomben einschlagen, dort, wo die Zerstörung sich ausbreitet, breitet sich eine Erregungswelle um die andere aus, ganz gleich, wie kühl die Köpfe und Körper derjenigen waren, die diese Bomben gelenkt, die Ziele berechnet, die Abwürfe vollzogen haben.



Unmoralische Erregungen

Ich will nicht auf all die Grausamkeiten eingehen, die Erregungszustände in sich bergen und ganz offensichtlich in sich bergen sollen, denn das ist jenseits dessen, was ein Mensch an Trauerarbeit zu leisten im Stande ist. So ist, nach meinem Dafürhalten, eine Berichterstattung über Kriege nur zu dem Zweck, Erregung - mediale Erregung, könnte man sagen - zu bewirken und zu steuern, ein approbates Mittel, um die Menschen wirkungsvoll über Vorgänge in unserer Gesellschaft, über die Art und Weise, wie wir Gesellschaft handhaben, zu unterrichten.

Und 'unterrichten' sage ich mit Bedacht, denn solches richtet uns nach unten und sollte den Blick in uns nach unten wenden, und sollte uns dazu bringen, uns der Grundlagen unseres Denkens, Fühlens und Handelns bewußt zu werden.

Dieses 'Nach unten Gerichtetsein', und insbesondere 'In sich selbst nach innen blicken' mag entscheidend sein für das, was sich an Erregendem in uns abspielt. Und doch will ich mich nicht vermessen, den Erregungszuständen der Erde, der Menschheit wie des Einzelnen, einen Nutzen, einen Zweck, einen Sinn oder gar eine Absicht zu unterstellen. Es ist für mich schlicht und einfach 'out of scope', jenseits meines Fassungsvermögens, und ganz sicher jenseits dessen, was ich jemals versuchen will zu begreifen.

Es genügt mir zu konstatieren, und für mich festzuhalten, es gibt sie, sie sind wahrnehmbar und fühlbar in ihrem Auftreten. Dem Menschen ist in irgendeiner Weise ein Sinn eingegeben, der ihn Erregung spüren läßt. Spüren können Sie Erregung in sich selbst, sie spüren, wenn sie aufwallt - sei es im Zorn oder in der Freude, in der Spannung, die sie hervorruft, oder auch in der Lähmung, die sie zuweilen auslöst. Das Erregende ist ein Moment des Lebens, wage ich zu behaupten und gebe mich vorläufig damit zufrieden.

Krisen und Erregung

Das Sinnhafte der Erregung liegt also im Wahrnehmen und nicht im Sinngeben, wie wir dies sonst und bei anderen Gelegenheiten tun, dürfen und sollen. Die Sinngebung selbst ist ein Erregendes in unserem Leben, und es gibt Zeiten, die jeder wohl kennt, in denen sich die Sinnfrage - genauer gesagt: Sinnfragen, Fragen nach dem Sinnfälligen, beispielsweise dem Sinn nach dem eigenen Leben, der eigenen Geschichte, der eigenen Zukunft, der eigenen Existenz - stellt, und andere Zeiten, in denen solchen Fragen nicht erregt werden.

Erregt werden im Kleinen Gedanken, erregt werden Emotionen, erregt werden, kurz gesagt, Dinge, die sich erregen lassen. Beispielsweise sprechen wir ohne zu zögern von der Nervenerregung und beschreiben diese minutiös im gängigen Weltbild elektromagnetischer Erscheinungen. Das führt mich zu einem anderen Kapitel, das ich hier allerdings nur andeuten will, das sich mit den elektrischen und magnetischen Eigenschaften der Materie oder des Raumes befaßt und versucht, diese mit dem Begriff der Erregung einmal anders zu deuten als wir es gewohnt sind. Hier will ich nur erwähnen, daß das, was wir ein Feld nennen, wohl gesehen werden kann als ein Erregungspotential, das sich im Wirken - und das bedeutet hier: Bewirken - von Erregtem manifestiert. Genauer möchte ich es jetzt nicht in Worte fassen.

Es ist also offenbar notwendig, daß wir uns im Leben immer wieder in besonderer Weise erregen. Dies tritt auch auf und wird dort besonders deutlich in den Krisen und Notzeiten unseres Lebens. Dann allerdings in einer Form, die uns nicht willkommen ist, die keinen Knopf besitzt, mit dem wir sie abschalten können wie den Fernsehapparat, um dem Film ein Ende zu machen, an dem wir nicht mehr beteiligt sein wollen.

Erregung bewirkt sich und vermittelt sich aus sich selbst. (Achtzehn Raben ziehen über mir einen Kreis und ziehen dann nach Westen ab). Ich verstehe diesen Satz noch nicht, und will dennoch versuchen, ihn zu erläutern.

Mir zu eigen

Mittwoch, 30. August 2000

Selbsterregung ist also nach unserer heutigen Auffassung ein 'In Sich Stimmiges', das uns gegeben und eingebaut wurde in unserem Menschsein, und uns ebenso zueignet wie die menschliche Form und die Gestalt unseres Wesens.

Obgleich wir diese nicht kennen können, so können wir doch Aspekte davon jeweils und zu einer Zeit empfinden (und sie vergegenwärtigen, das ist der eigentliche Begriff) und daraus entnehmen, daß wir selbst Menschen sind, und dies zweifelsfrei. Das werden wir nicht weiter hinterfragen, inwieweit wir solche sind und nicht andere, weder Tier noch Pflanze, weder Stein noch Erde, nicht Luft noch Wasser, obgleich es Zeiten in unserer Erdgeschichte gegeben hat, wie ich mich entsinne, wenn auch nicht erinnere, die es Menschen möglich machte, ihre Gestalt zu wandeln in einer Art und Weise wie dies heute allenfalls noch augenfällig wird in den Science fiction- und Fantasy- Büchern so mancher Autoren. Und daß wir solche Vorstellungen noch immer in uns tragen und sie vergegenwärtigen können, zeigt mir (wenngleich nicht mit Beweiskraft), daß in uns ein Element des Wandels und des Sich Veränderns vorhanden ist, das selbst die menschliche Gestalt zu sprengen vermag.

Damit tragen wir nun bei zu einer verbindenden Weise, in der die Lebensformen dieser Erde nur zu existieren vermögen, und in diesem Zusammenhang erinnere ich nur an unser Teilhaben an Luft und Wasser, Sonne und Wind, Erde und Feuer in unseren Adern, Zellen und Geweben. Das ist nicht wörtlich zu nehmen, sondern soll uns lediglich daran erinnern, daß wir an dieser Erde ständig teilhaben und dies auch dann tun, wenn wir IHRE Gedanken denken, ganz so, als seien wir Nervenzellen mit Gehirnfunktion in einem Überwesen - das man inzwischen wieder zu ahnen beginnt und GAJA nennt, wie zu alten Zeiten.

Ich will hier nicht auf die Besonderheiten einer solchen organismischen Betrachtungsweise eingehen, die uns hier nicht angemessen erscheint. Doch auch sie hat die jüngste Zeit und deren Entwicklung hervorgebracht und bedarf einer Kenntnisnahme, bevor wir sie zum Klügeren hin zu wenden vermögen.

Die Erde erregt sich

Wir beklagen häufig die Hektik unseres modernen Lebens, und dies vor allem dann, wenn wir drohen ihr zum Opfer zu fallen. Unser alltägliches Leben gönnt uns keine Ruhe, wenn wir nicht selbst dafür sorgen. Erregendes gibt es heute in Hülle und Fülle - und oft genug aus zweiter Hand. Je eintöniger und langweiliger unser Alltag wird, um so dringender bedürfen wir des Erregenden aus den Medien. Die Klatsch und Katastrophen in der Presse und im Fernsehen haben noch immer Konjunktur. Und wenn das wirkliche Leben nichts herzugeben scheint, so wird es erfunden - in den Thrillern und Actionfilmen wird uns angeboten, was unserem persönlichen Leben zu fehlen scheint.

Ich will hier beileibe keine Kulturkritik äußern und fragen, wohin uns diese Art von 'Literatur' noch bringen wird. Sie bringt uns den Thrill und die Hektik, die der allgemeinen Erregungslage zu entsprechen scheinen. Und dies geschieht, ohne daß sich jemand über den Zweckzusammenhang Gedanken machen bräuchte, oder dies freiwillig täte. So wundert es uns nicht, wenn Schlaflosigkeit ebenso zu den modernen Krisenerscheinungen gehört wie der Drogenmißbrauch. Die einen benötigen Medikamente, um sich aufzuputschen - die andern, umd sich wieder zu beruhigen. Wie es scheint, haben wir den natürlichen Rhythmus verpaßt, in dem sich Erregungsphasen mit Ruhephasen abwechseln. Wir müssen sie im Griff haben, müssen planen und machen können, daß wir uns erregen zu einer Zeit - und beruhigen in der übrigen Zeit, die uns dazwischen bleibt.

Das Erregungsphänomen - auch häufig Streßphänomen genannt - ist ein aktuelles Problem und wird es wohl noch einige Zeit bleiben. Wir werden der Erregung nicht Herr werden - nicht mit Medikamenten noch mit meditativen Übungen. Denn die Erde erregt sich in besonderer Weise und nimmt die Menschheit mit. Und doch haben wir alle, hat jeder einzelne immer wieder und unaufhörlich damit zu tun, in seinem eigenen Leben das Erregende zu meistern. Nicht zu viel, und nicht zu wenig - irgendwo dazwischen liegt die Kunst des Lebens.

Zum Schluß

So sind wir nach einigem Hin und Her nun doch ein Stück weiter gekommen. Wir haben nach den Transformationsprozessen gefragt und nach den Zusammenhängen, die zwischen unserem eigenen persönlichen Erleben eines solchen und den allgemeinen Zeiterscheinungen bestehen mag. Das Thema ist unerschöpflich, doch der Leser ist es nicht. So müssen wir an einer Stelle innehalten, die uns zum Nachdenken nötigt.

Keiner weiß, wann ihn die nächste Krise erfassen wird - heute, morgen oder gar nicht. So wird es uns schwer fallen, entsprechend Vorsorge zu betreiben. Wogegen sollen wir uns wappnen, wie können wir einer Krise begegnen?

Nun, die allgemeinste Antwort auf diese Frage, die ich nach eigenem Erfahren und Erleben geben kann, lautet: mit Zuversicht. Das Innere Selbst erregt sich in einer Weise, die uns optimal auf die Krise einstimmt und sie bewältigen hilft. Mag sein, daß es für den einen oder anderen die letzte Krise wird, die wir den Tod nennen. Doch auch diesen werden wir bewältigen, wie es die Natur für uns vorgesehen hat: unausweichlich und mit Erfolg. Noch niemand hat im Sterben versagt, jedem ist es gelungen.

So, wie uns der Tod in ein neues Leben geleitet, so wird jede Krise in eine neue Lebensphase hinüberführen. Wir mögen es schätzen oder ablehnen - es wird geschehen. Daher mag im Akzeptieren ein gängiges Mittel liegen. Doch auch im Kampf stärkt sich der Lebenswille, übt sich die Lebenskraft. Wie wir beides, Akzeptieren und Kämpfen, in Einklang zu einander bringen, das wird darüber entscheiden, wie glatt wir durch eine Krise hindurch gleiten.