Ein vielschichtiges Problem

Wir wollen noch eine weitere Stunde dem Krebsproblem widmen. Dieses Problem ist so vielschichtig, wie die Menschen es sind, die daran erkranken. Und nichts, was wir denken, sagen oder schreiben, kann alles das umfassen und berücksichtigen, was das Leben in ‚unser persönliches Krebsproblem’ hineinpacken mag. Dass wir dennoch immer wieder einen Versuch machen, dem Krebsproblem nachzuspüren und vielleicht gar auf den Grund zu gehen, liegt eher daran, dass so viele irreführende Gedanken in der Welt sind. Gedanken über den Krebs, die den Gesunden verwirren können – und den Krebspatienten zumeist in unauflösbare Zweifel und Ängste stürzen.

Nennen wir einige derjenigen Punkte, die mir am wichtigsten erscheinen, noch einmal.

Krebs als eine blockierte Entwicklung zu betrachten, ist neu. Aber nicht nur das, eine solche Auffassung kann uns Lösungen anbieten, die außerordentlich hilfreich sein können. Das habe ich selber erlebt - und ich vertraue sie euch und eurer Intuition an. Ob sie für euch wahr sein können oder es werden können, wird ganz von euch selber abhängen – wie immer.

Wenn Krebs etwas mit meiner persönlichen Entwicklung – in diesem Leben, möchte ich hinzufügen - zu tun hat, dann habe ich es doch in der Hand, daraus etwas zu machen, der Krankheit einen günstigen Verlauf zu geben. Dann liegt es doch weitgehend an mir selber, ob ich vom Krebs geheilt werden kann – oder gar diese Krankheit ganz und gar vermeiden kann.

Krebs – das Krebsproblem selbst - ist voller Widersprüche ist eine weitere Aussage, die wir immer wieder gemacht haben. Das ist fast trivial – denn auch wir Menschen sind voller Widersprüche. Wir müssen uns also mit diesen Widersprüchen in uns befassen, wir können sie nicht vermeiden, wenn wir eine wirkliche Heilungschance haben wollen. Das haben mir viele – geheilte – Krebspatienten bestätigt.

Krebs hat etwas mit meinem Willen zu tun. Mein Wille soll auch berücksichtigt werden. Aber der Wille der Anderen ist auch da – und das führt immer wieder zu Konflikten, zu Willenskonflikten. Solche Konflikte können wir nicht grundsätzlich vermeiden, wie gutwillig wir es auch angehen mögen. Wer seinen eigenen Willen um des Friedens willen, um der Harmonie willen, ständig unterdrückt, schafft ein explosives Gemisch in seinem Inneren, das den Körper zunehmend belastet – und möglicherweise in die Krebskrankheit treibt. Doch auch hier gilt, dass jeder bei sich selber schauen muss.

Krebs hat etwas mit unseren Gefühlen zu tun – und mit der Art und Weise, wie wir sie leben - oder unterdrücken. Darüber werden wir noch mehr sprechen müssen.

Krebs hat aber zuallererst etwas mit unserem Denken zu tun. Mit der Qualität unserer Gedanken und mit dem Wert, den wir ihnen zumessen. Auch das wollen wir noch einmal näher erläutern.

Und Krebs hat etwas mit unserem Eigenwert zu tun. Also damit, welche Wert wir uns selber zumessen. Oder welchen ‚Minderwert’ wir bei uns vermuten. Das ist vielleicht der letzte Schlüssel zur Genesung. Doch seht selber, ich kann euch nur meine Gedanken darüber mitteilen. Eure eigenen Gedanken müsst ihr euch selber machen.
Selbstwert in Gefahr

Ich möchte mit einem Beispiel beginnen, das viele Krebspatienten kennen und das auch in meinem Leben eine Rolle spielte.

‚Eine Frau hat sich in jungen Jahren dafür entschieden, eine Familie zu gründen und eigene Kinder zu haben. Sie heiratet und erlebt das Muttersein in der bekannten Weise – mit Freud und Leid, im Wechsel. Sie setzt sich über Jahre hinweg für Mann und Kinder ein und verzichtet nur allzu oft auf eigene Wünsche, eigene Bestrebungen, eigene Vorstellungen vom Leben, von ihrem Leben. Manchmal bewusst, öfter jedoch unbewusst.
Über Jahre hinweg ist sie mehr oder weniger glücklich und zufrieden mit dem, was sie in der Familie an Erfüllung und Glück findet. Doch über alle diese Jahre entsteht ein Mangel, der sich schließlich nicht mehr verbergen lässt. Da waren so viele andere Hoffnungen, Erwartungen, Träume, Sehnsüchte, Phantasien, die sich im Rahmen der Familie nicht erfüllen ließen. Spätestens wenn die Kinder erwachsen wurden, der Ehemann vielleicht längst seine eigenen Wege gegangen ist, dämmert es ihr, dass die besten Jahre ihres Lebens nun vorbei und manche Chancen unwiederbringlich verloren sind. Oder scheinen. Was nun?’

Das ist für sich genommen noch keine krebsträchtige Situation. Es hängt nun davon ab, ob sie dem verlorenen Glück, der versäumten Karriere usw. nachtrauert und sich in Selbstvorwürfen ergeht. Oder die Schuld an ihrem, wie sie glaubt, verfehlten Leben bei anderen sucht. Oder ob sie in der Lage ist, nun einen Schlussstrich zu ziehen und einen neuen Anfang zu machen. Einen Anfang außerhalb der Familienrolle und Mutterrolle.

Das alles hat mit ihrem Selbstbild zu tun, also mit der Art und Weise, wie sie sich selbst, wie sie ihre Rolle in der Welt, wie sie letztlich ihre eigene Lebensgeschichte sieht. Oder einschätzt. Oder beurteilt. Oder gar verurteilt.

Das Szenario lässt sich beliebig erweitern oder ausmalen – es wird immer vom einzelnen Menschen abhängen, wie er seine Situation einschätzt, wie er sein Leben bilanziert und welche Chancen für die Zukunft er sich einräumt. Und nicht selten kann es in einer solchen Lage dazu kommen, dass er sich so sehr blockiert, dass seine schöpferische Energie in ihm anstaut und gleichsam ‚sauer’ wird, dass er nicht mehr in der Lage ist, das Notwendige an Veränderungen herbei zu führen.

Doch, wie gesagt, es hängt immer vom Einzelfall ab.

Oft sind es gerade die Bindungen, die wir zu einer Zeit im Leben eingegangen sind, die uns daran hindern, eigene neue Wege zu gehen. Und das wird umso schwerer, je enger die Bindungen sind. Und Familienbande gehören noch immer zu den stärksten Bindungen, die wir als Menschen erfahren.

Wie immer wir mit diesen Bindungen umgehen – sie lösen oder bewahren, es wird in uns ein Wertekonflikt auftreten, der uns bewusst machen will und kann, welche Wertmaßstäbe wir anzulegen gewohnt sind. Oder welche Ideale wir in unserer Seele vorfinden. Oder welchen Prinzipien wir uns verschrieben haben.

So steht hinter dem Willenskonflikt immer auch ein – und den gilt es bewusst zu machen. In der Regel werden wir Lösungen finden, die nicht zutiefst tragisch sind, die uns vielmehr in einen Kompromiss führen und der unser inneres Wertesystem intakt lässt. Oder es radikal verändert – auch das ist möglich.
Wertekonflikte lösen

Und wenn Ihr mich jetzt fragt, welches nun der rechte Weg ist? Wie kann man seine Integrität bewahren, wenn man in solche Konflikte hineingerät? Wie kann man sich entscheiden, wenn jede Entscheidung einen bis dahin wesentlichen Wert in unserem Leben verneint – um einen anderen zu bewahren.

Die Antwort ist ganz einfach: wir unterliegen fast immer einer Täuschung, wenn wir solche Wertekonflikte in uns aufbauen. Wir tendieren dazu, Probleme prinzipiell lösen zu wollen – als sei die jetzige Situation ein Präzedenzfall für alle Zukunft. Als könnten wir uns morgen nicht anders entscheiden. Anders gesagt, das Problem besteht einzig und allein in unserem Kopf. Wir waren schon gespalten, bevor der Konflikt auftrat. Wir waren zumindest von unserer eigenen lebendigen Quelle getrennt und haben uns in eine konstruierte Zwangslage hineinmanövriert, die es so nur in unseren Vorstellungen geben kann.

Dieses Problem tritt viel häufiger auf als man glaubt oder glauben möchte. Man braucht nur mal seinen Bekannten eine solche Konfliktsituation schildern, wie sie uns heute häufig begegnet und dann fragen, wie sich der Betreffende entscheiden würde. Die Falle ist nun gestellt und häufig schnappt sie zu – der Zuhörer fängt an zu denken, zu argumentieren, zu streiten gar, und schon sitzt er drin. Die Antwort muss heißen: ‚Das weiß ich erst, wenn ich in der Situation bin!’ Punkt.

Wir sind hier auf ein Problem gestoßen, das mit den Eigenschaften des ‚rationalen Denkens’ zusammenhängt. Rationales Denken stößt im tatsächlichen Leben immer wieder auf Widersprüche. Widersprüche von der Art: einesteils, andererseits – und beides geht nicht. Doch rationales Denken ist eben nur ein Aspekt des Lebens und kann niemals das Ganze umfassen. Um dem Leben gerecht zu werden, bedarf es viel mehr der Gefühle und der Intuitionen, als uns heute klar ist. Werte und Wertmaßstäbe sind eben keine Frage von Logik, sondern vielmehr eine Sache von Gefühlen. Von Wertgefühlen. Und nicht selten von Selbstwertgefühlen.

Und hier ist bei vielen Krebspatienten ein unübersehbares Problem. Viele von ihnen leiden unter Minderwertigkeitsgefühlen – und auch dann, wenn sie ansonsten ‚Gefühlsmenschen’ sind. Doch letztlich räumen sie dem ‚rationalen Denken’ oberste Priorität ein. Und auch aus diesem Grund sind viele so gutwillige Patienten. Eben Krebspatienten. Wäre dem nicht so, hätte es längst in der Bevölkerung einen Aufstand gegen die unwürdige und unmenschliche Behandlung von Krebspatienten gegeben und die heute gängige Krebstherapie wäre längst von der Bildfläche verschwunden.

So aber traut der Krebspatient dem Arzt und seinem wissenschaftlichen Instrumentarium mehr als seinem eigenen Empfinden. Und die übergangenen Gefühle drängen sich zusammen zu einem undurchschaubaren Sumpf von Angst und Ohnmacht und Verzweiflung. In diesem Zustand geht er vollends über zu dem, was er für eine überragende Autorität hält: dem Arzt, dem Therapeuten, dem Heiler oder … wie immer die Autorität heißen mag, von der er sich Rettung verspricht. Und vergisst, was er als Kind noch wusste: dass einzig und allein seine ‚innere Natur’ oder Seele in der Lage ist, sein Leben zu garantieren – in jeder Hinsicht.

Das würde ihm auch heute noch sein ureigenes Gefühl sagen, unüberhörbar und unabweisbar. Doch er hört nicht mehr auf die Gefühle, die er in sich entwickelt. Warum wohl nicht? Auch darauf gibt es keine allgemeingültige Antwort.
Leben in der Angst

Unser menschliches Leben ist Teil des ewigen Lebens in uns – insofern ist es sicher, beständig, unzerstörbar, ewiglich. Leben an sich kann nicht zerstört, kann nicht vernichtet werden. Das ist für mich eine absolute Wahrheit, die jenseits aller Gedanken und Erklärungen bestehen bleibt. Das bedeutet für mich eine letzte Sicherheit, die unverrückbar ist.

Dagegen ist das menschliche Leben prinzipiell unsicher, voller Risiken und Gefahren. Das wissen wir alle, das weiß jeder. Und auch das ist eine unverrückbare Wahrheit. Wir können nicht sicher sein, ob wir den morgigen Tag noch erleben. Wir können nicht sicher sein, ob wir in hohem Alter sterben oder in jungen Jahren. Wir könnten es vielleicht ahnen, wenn wir in die Tiefen unserer Seele, in die Tiefen unseres Inneren Selbst blicken könnten. Doch das können die wenigsten von uns. Vielleicht möchten wir es auch nicht wissen, weil wir damit schlecht umgehen können.

Kürzlich hörte ich die Geschichte eines Mannes, der nach langer, schwerer Krankheit verstorben ist. Er hat, so wurde mir erzählt, schon in jungen Jahren immer wieder behauptet, dass er nicht älter als fünfzig Jahre werden würde – er hat recht behalten. Zum Leidwesen seiner Familie.

Wir sind also nicht sicher, was den Verlauf und die Dauer dieses irdischen Lebens angeht. Wir leben mit dem grundlegenden Zweifel, den eine ungewisse Zukunft auf unser gegenwärtiges Leben wirft. Dieser Zweifel ist eine ständige Quelle unbewusster Ängste, auf die wir immer wieder reagieren – existenzielle Ängste, die uns drängen, uns dieser ungewissen Zukunft zu versichern.

Noch nie in unserer bekannten Geschichte gab es so viele Versicherungen wie heute. Wir können eine Versicherung auf nahezu jede denkbare Eventualität abschließen – auf Diebstahl, Verlust von Gegenständen oder Wohnungseinrichtungen, auf den Krankheitsfall oder den Todesfall – letzteres nennen wir dann ‚Lebensversicherung’. Nicht, dass die Versicherung uns vor solchen Schicksalsschlägen bewahren würde. Das kann sie nicht. Nein, sie bietet uns lediglich einen finanziellen Ersatz, eine finanzielle Hilfeleistung an. Doch auch das kann in dieser schwierigen Zeit wichtig und vor allem beruhigend sein. Warum erwähne ich es? Weil wir daraus besser als sonst erkennen können, wie unsicher wir unserem eigenen Leben gegenüber wirklich sind.

Es kann wichtig für uns sein, dass wir uns diese unsere prinzipielle Unsicherheit immer wieder bewusst machen. Es kann vor allem für einen Krebspatienten wichtig sein. Es kann sogar entscheidend werden, dass er sich klar macht, dass seine Angst vor dem Tumor oder der bösartigen Geschwulst in seinem Körper möglicherweise nur ein Ausweichen vor dieser grundsätzlichen Angst ist. Warum soll ich mich so sehr darum sorgen, dass ich die nächsten fünf Jahre überlebe – das heißt, nicht an Krebs sterbe – wenn ich nicht einmal sicher sein kann, dass sich den nächsten Tag überlebe? Und diese Unsicherheit mit allen meinen Mitmenschen teile?

Krebspatienten verhalten sich oft so, als hätten alle ihre Mitmenschen, die nicht an der Krebskrankheit leiden, gleichsam eine Garantie dafür, zumindest das Durchschnittsalter zu erreichen – oder noch darüber hinaus zu leben. Diese statistische Zahl, die für Männer heutzutage bei 78 Jahren, bei Frauen sogar bei über 82 Jahren liegt, beeinflusst uns offenbar mehr als wir glauben. Und mehr, als ihr grundsätzlich an Bedeutung zukommt. Das ist eine fiktive Zahl, eine Rechengröße, die doch nicht verhindern kann, dass jedes Jahr mehr als achttausend Menschen jeglichen Alters auf der Straße, im Straßenverkehr umkommen.

Ich frage mich manchmal, was in unseren Köpfen noch herumspuken mag, das uns von einer natürlichen Realität so weit entfernt, dass wir nicht mehr erkennen, wie wichtig der heutige Tag, die jetzige Stunde ist.
Positiv leben

Nun bin ich sicher, dass nicht jeder Mensch von solchen Fragen geplagt wird. Wer jung und dynamisch ist und voller Lebensfreude seinen Weg geht, hat weder Zeit noch Lust, sich solche Gedanken zu machen.

Andererseits gibt es viele Kranke und Gebrechliche, gibt es depressive Menschen und unglückliche Menschen, und es gibt vor allem Krebskranke – und diese werden häufig von Gefühlen gepeinigt, die sie als Existenzängste erleben. Und dabei vergessen sie, dass ihre Existenz auf eine natürliche Weise gesichert ist, die unerklärbar, geheimnisvoll und tragfähig ist. Jeder, der sich solchen Ängsten und Zweifeln ausgesetzt sieht, vergisst, dass er auch diesen Tag wieder aufgewacht ist und einen Tag voller neuer Möglichkeiten und Chancen vor sich hat.

Was ist mit uns geschehen, dass wir diesen fundamentalen Glauben an die Kraft der Natur nicht mehr aufbringen können? Oder vor allem dann nicht aufbringen, wenn wir diese Kraft am dringendsten benötigen – im Zustand der Krankheit? Warum können wir nicht voller Zuversicht in den Tag gehen und darauf hoffen, dass es uns heute wieder ein wenig besser geht? Warum legen wir den Tag darauf fest, dass er uns weiterhin in diesem Kranksein festhalten will, als sei er mitleidlos und ungnädig mit uns?
Sind wir blind?

Ich habe früher schon gesagt, dass wir offenbar zunehmend unter einem Mangel an Urvertrauen leiden, der für sich schon krankheitsträchtig ist. Es ist uns unbenommen, an einer solchen skeptischen, destruktiven Grundhaltung festzuhalten. Doch wer sich ernsthaft um seine Gesundheit bemühen und, so er sie hat, sie erhalten will – wer also wirklich Gesundheitsvorsorge betreiben will, der muss sich unabdingbar mit dieser seinen negativen Grundhaltung befassen und sie in eine positive, lebensbejahende Einstellung umwandeln.

Ich habe früher schon versucht, die Herkunft einer solchen negativen Einstellung zu erklären, damit wir sie uns nicht persönlich anlasten. Ich glaube, dass wir einer Entwicklung Tribut zollen, die wir alle mittragen, ob wir sie nun befürworten oder nicht – der technologischen Entwicklung, die uns das Industriezeitalter beschert hat.

Gewiss, unser Lebensstandard beruht auf der technischen Leistung unserer modernen Zivilisation, und das betrifft heute alle Industrienationen. Es betrifft auch mehr und mehr die Menschen in der Dritten Welt, die von der Globalisierung dieser unserer ‚westlichen Errungenschaften’ erfasst werden. Und dabei geht es nicht nur um Wohlstand und Überfluss. Gerade in den armen Ländern dieser Erde geht es sehr viel mehr um Hunger, Seuchen und Krieg. Wie also könnten wir ihnen die technologische Entwicklung vorenthalten, auch wenn wir zu ahnen beginnen, dass wir damit wertvolle alte Kulturen zerstören und Millionen von Menschen ihrer angestammten Wurzeln berauben.
Fortschrittsgläubig?

Wir sind in einem wirklichen Dilemma. Man hört immer wieder, dass wir das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen können. Man sagt uns, dass wir nur auf den technischen Fortschritt bauen könnten, oder die Welt würde im Chaos versinken – oder in einer gigantischen Hungersnot untergehen.

Sicher, wir können uns nicht vorstellen, wie eine Welt aussehen könnte, in der Industrie und Technik nicht oberste Priorität haben. Ich bezweifle aber, dass wir angstfrei genug sind, um dieses Problem wirklich gründlich zu überdenken.

Für den Krebspatienten müssen solche Fragen zunächst abstrakt und abgehoben erscheinen. Er hat ganz andere Sorgen als eine zukünftige Entwicklung in mehr oder weniger Technik hinein. Zumal er meist darauf hofft, dass der technische Fortschritt die Lösung des Krebsproblems bringen wird. Hat man nicht kürzlich erst angedeutet, dass die Gentechnik in einigen Jahren in der Lage sein wird, Krankheiten erfolgreich zu behandeln, die heute noch als unheilbar gelten?

Der Krebspatient, der sich dem allgemein akzeptierten Konzept einer Krebstherapie – also nach ‚schulmedizinischem’ Muster – verschreibt, setzt auf den technischen Fortschritt. Und das tun auch viele jener Patienten, die sich zusätzlich um eine ‚alternative’ Therapie bemühen. Das tun auch jene, die zu ‚naturheilkundlichen’ Heilverfahren Zuflucht nehmen – die meisten jener Verfahren sind ohne technische Zutaten – seien es Medikamente oder Geräte – nicht machbar. Ausgenommen davon sind lediglich jene Patienten, die sich einem Heiler oder Geistheiler anvertrauen. Doch das ist eine Minderheit – und auch sie haben keine Gewähr dafür, dass sie geheilt werden können. Auch darüber haben wir gesprochen.
Der Natur vertrauen

Wir kommen nicht umhin, unsere Lebenseinstellung grundsätzlich zu überprüfen – nicht, wenn wir an Krebs leiden oder befürchten, gefährdet zu sein. Wir alle sind dazu aufgerufen, unser Verhältnis zur Natur neu zu überdenken. Das tun wir zumeist auch, sonst gäbe es nicht den Drang zu ‚biologischen’ Nahrungsmitteln und Medikamenten. Das ist gut so und ich hoffe, dass diese Entwicklung schnell an Boden gewinnt.

Doch der Krebspatient begeht – leider – einen grundlegenden Irrtum, wenn er glaubt, er sei durch seine ‚gesunde’ Ernährung oder Lebensweise gegen Krebs immun. Dieser Irrtum ist zwar verständlich, weil man uns noch immer glauben machen will, die Krebskrankheit habe ihre Ursache vielleicht doch in den Umweltgiften. Das beste Beispiel ist der Tabakgenuss, also das Rauchen. Der Gesundheitsminister warnt ‚Rauchen kann tödlich sein’. Oder – noch drastischer – in Frankreich, wo neuerdings auf jeder Zigarettenschachtel zu lesen ist ‚Fumer tue!’ – Rauchen tötet. Was für ein Unsinn! Nicht nur, dass dies wissenschaftlich nicht bewiesen ist, im Gegenteil, es ist geradezu eine krankmachende, eine Hysterie fördernde Suggestion, die dem Staat einerseits eine Menge Steuern einbringt, andererseits in erheblichem Maße das befördert, was sie verhindern will – dass Raucher an Krebs erkranken. Doch das ist meine private Meinung, und auch sie ist unbewiesen.

Wir leben also nicht dann gesund, wenn wir die erklärtermaßen ‚krankheitsträchtigen Stoffe’ vermeiden. Im Gegenteil. Unsere Grundeinstellung bleibt nicht nur unverändert, sie erzeugt vielmehr noch weitere untergründige Ängste. Wie kann ich denn heute noch überprüfen, ob ich ‚gesunde Nahrung’ kaufe, selbst wenn sie als ‚Bio’ deklariert wird? Und werde ich nicht mehr und mehr Zweifel an der Leistungsfähigkeit meines ‚natürlichen Abwehrsystems’ entwickeln, wenn ich dem Körper – durch meine Gefühle – ständig signalisiere, wie groß die Gefahren für seine und meine Gesundheit sind?

Das schafft nicht Sicherheit, sondern fördert eben jene destruktiven Grundelemente unserer Weltanschauung, die wir früher schon als ‚prinzipiell krankheitsträchtig’ bezeichnet haben. Wie kann ich mich wohl fühlen, wenn ich mich ständig von Gefahren aller Art umgeben und belauert sehe? Wie dann lebe ich gesund?
Gesund leben

Gesund leben heißt prinzipiell, auf die Kraft der Natur, auf die Kraft des natürlichen Körpers vertrauen. Das ist die Grundlage einer ‚gesunden Lebenseinstellung’ – falls es so etwas gibt. Das Gegenteil fördert auf lange Sicht Krankheit und Verfall – der Glaube, wir könnten nur mit Hilfe unserer technologischen Errungenschaften überleben. Der Glaube, der Körper schaffe es nicht mehr allein, man müsse ihm täglich industriell erzeugte Stoffe, angefangen von Vitaminen, über Nahrungsergänzungsmitteln bis hin zu Medikamenten zuführen, damit er überhaupt noch regelgerecht funktionieren kann. Ein solcher Glaube macht uns in hohem Maße abhängig von eben jenen industriellen Produkten, die wir zunehmend als potentiell gesundheitsschädigend erkennen. Und dieser Irrglaube entfremdet uns von dem, was allein unser Leben als Mensch möglich macht – von unserem natürlichen Körper.

Mag sein, dass unsere Wirtschaft besser floriert, wenn sie uns mit dergleichen Produkten überschwemmt, die unser Körper während seiner langen Evolution noch nie kennen gelernt hat. Es mag auch sein, dass unser Körper schnell lernt, sich an solche Fremdstoffe anzupassen, wie wir sie ihm täglich zuführen. Doch dann sollten wir ihm nicht suggestiv mitteilen, dass diese Stoffe gesund sind. Dass sie sogar unerlässlich für sein Gesundsein seien!

Das kann den natürlichen Körper nur verwirren, der doch täglich im Umgang mit unüberschaubar vielen Fremdstoffen Erfahrung gesammelt hat und sehr wohl unterscheiden kann, was körpereigen und förderlich ist – und was demgegenüber körperfremd und schädlich ist. Wir können mit solchen ‚ungesunden Gedanken’ unser Abwehrsystem nur belasten. Und je mehr wir solche schädlichen Ansichten kultivieren, die dem ‚innewohnenden biologischen Wissen’ des Körpers zuwiderlaufen, umso mehr fördern wir das, was uns die Medizin als ‚chronische Krankheit’ androht – dazu gehören an erster Stelle die zahlreichen Allergien, die heute schon einen großen Teil der Bevölkerung plagen.

Wir wissen nicht, wohin unsere Entwicklung geht – wir kennen weder unsere persönlichen Entwicklungsziele noch die Entwicklungsziele der Menschheit im Ganzen. Und doch kann ein jeder von uns seine eigene Entwicklung fördern. Und er fördert sie am besten, wenn er seinen eigenen Impulsen folgt, wenn er seinen Gefühlen lauscht und ihnen Raum gibt. Und das ist mehr als jeder Außenstehende für uns tun kann.
Unser Umgang mit dem Schmerz

Ich habe bisher ein Thema ausgeklammert, das an zentraler Stelle bei jeder Krankheitsbetrachtung steht – den Schmerz. Und das nicht nur für den Außenstehenden, viel mehr natürlich für den Betroffenen selbst. Ich habe dieses Thema bis zum Ende dieser Vortragsreihe hinaus gezögert, weil ich hoffe, dass es euch so besser im Gedächtnis bleibt.

Schmerz und wie man damit umgeht, ist bei nahezu allen Erkrankungen ein wesentliches Indiz dafür, was hinter der Erkrankung verborgen ist. Man könnte dies die ‚Ursache’ nennen, wenn man es nicht zu genau nimmt. Denn sehr oft ist es das ‚insgeheim’ darunter liegende Problem, das weh tut – und das aufgelöst werden will. Doch dazu muss es dem Schmerz entrissen werden, der es wie eine Schutzhülle umgibt und verhindert, dass es ins Bewusstsein gelangen kann.

Dabei ist nicht gesagt, dass es ‚real’ weh tut – oft fürchten wir nur, es könnte weh tun. Das läuft aber auf dasselbe hinaus – ob es wirklich wehtut oder wir nur fürchten, es könne wehtun, Schmerz ist nun einmal unangenehm. Wollen wir den Schmerz um jeden Preis vermeiden, dann wird das Problem abgeblockt und dem Bewusstsein vorenthalten. Und das bleibt es, bis es sich auf Umwegen wieder ins Bewusstsein drängt.

Wenn man diesen Sachverhalt kennt, kann man sehr viel leichter mit den eigentliche ‚Krankheitsursachen’ umgehen als dies heute geschieht. Wir haben seit langem ein ‚gebrochenes Verhältnis’ zum Schmerz, und damit meine ich alle Arten von schmerzlichen Gefühlen, sei es Trauer, Einsamkeit, Verlassenheit, Gedrücktsein, Hoffnungslosigkeit und so fort. Es scheint, als hätten wir verlernt, sie als Bestandteil eines normalen menschlichen Lebens zu akzeptieren und damit umzugehen. Stattdessen weisen wir solche Gefühle in den Bereich des Abnormalen, ja, des Krankhaften – und leisten erst damit dem Entstehen von Krankheiten Vorschub. Natürlich ohne es zu wollen, einfach aus Unkenntnis der wirklichen Zusammenhänge.

Das beste Beispiel dafür sind die zahlreichen Formen von Depressionen, die heute zumeist medikamentös behandelt werden. In nahezu allen zivilisierten Ländern hat der Gebrauch von Psychopharmaka aller Art, angefangen von so genannten ‚Aufhellern’, über Schlafmitteln bis hin zu Schmerzmitteln unterschiedlicher Stärke immer mehr zugenommen. Als müssten wir ständig guter Laune und bester Stimmung sein. Und je mehr wir solche unnatürlichen Zustände herbeizwingen, und dies mit unnatürlichen Mitteln, nämlich Drogen, umso häufiger wird der Körper in unnatürliche Zustände von ‚heiterer Leistungsfähigkeit’ gezwungen, die er nur noch unter Aufbietung aller Kräfte – und auch dies nur über eine begrenzte Zeit – aufrecht erhalten kann.

Die Folge ist logischerweise eine zwingend gebotene ‚Erholungsphase’, die dem Organismus Zeit und Gelegenheit gibt, sich wieder zu regenerieren. Das geschieht nicht selten durch eine Symptomatik, die wir als ‚Krankheit’ erleben und die uns zwingt, eine Pause einzulegen. Doch das widerspricht allzu oft den Plänen oder Pflichten des Betroffenen. Und so versucht er, seine Leistungsfähigkeit weiter durch allerlei Kunstgriffe aufrecht zu erhalten – wie beispielsweise durch Aufputschmittel. Oder durch Medikamente, die seine Symptome beseitigen sollen.

Und damit dreht sich die krankheitsträchtige Spirale weiter und die Symptome kommen wieder und oft schlimmer als zuvor – bis es zu einem völligen Zusammenbruch kommt, der ein Weitermachen in der gewohnten Weise verhindert. Das ist an sich eine natürliche Schutzmaßnahme, die sich dann als ‚Krankheit’ tarnt. Doch nicht selten wird nun durch medizinische Eingriffe der natürliche Erholungsprozess gestoppt und der Körper durch drastische therapeutische Maßnahmen weiter belastet.
Rechtzeitig erholen

Diese Zusammenhänge sind an sich seit langem bekannt, und daher hat in der Vergangenheit die Einrichtung von, sagen wir, ‚sozialen Schutzzonen’ einen hohen Stellenwert gehabt. Gerade in Deutschland gab es ein hoch entwickeltes Kurwesen, das den Ausbruch vieler ernsthafter Erkrankungen verhindert hat.

Unter dem wirtschaftlichen Druck der letzten Jahrzehnte – das heißt, steigende Arbeitslosigkeit und sinkender Produktivitätszuwachs – sind diese sinnvollen Maßnahmen in großem Maßstab reduziert worden, obwohl die Anforderungen, die die Arbeitswelt an den Einzelnen stellt, weiter gestiegen sind. Gegenwärtig ist nicht abzusehen, wo diese Entwicklung noch hinführen soll, wenn sie nicht auf höchster gesellschaftlicher Ebene erkannt und abgebogen wird.

Was hat das alles noch mit Schmerz zu tun? Nun, Schmerz war der Ausgangspunkt einer negativen Spirale, an deren Ende schwerwiegende Erkrankungen stehen. Und wir alle wissen, dass diese seit geraumer Zeit zunehmen, obwohl der Lebensstandard gestiegen ist – oder weil?

Es geht also um unsere Grundeinstellung dem Leben gegenüber – wie so oft. Und hier geht es an zentraler Stelle, wie wir mit dem Schmerz – oder dem Schmerzlichen – in unserem Leben umgehen. Beugen wir uns dem gesellschaftlichen Druck und schließen wir uns der allgemeinen Tabuisierung des Schmerzes an? Sind auch wir der Auffassung, Schmerz sei unnatürlich und müsse – zumeist medikamentös – beseitigt werden? Oder akzeptieren wir eine Grundwahrheit, die die Menschen kannten, seit es Menschen gibt: Schmerz gehört zum Leben wie die Luft zum Atmen.

Eine positive Einstellung dem Schmerzlichen gegenüber würde viele unserer medizinischen Probleme beseitigen und uns im Ganzen gesünder machen. Ich behaupte, eine effektive Gesundheitsvorsorge beginnt – und das sage ich mit allem Nachdruck – mit der Fähigkeit, Schmerz zuzulassen, auszudrücken und angemessen zu verarbeiten.

Wenn wir dies beherzigen, würden vielen chronischen Krankheiten vorbeugen – und wir hätten bei weitem weniger Drogensüchtige, ganz gleich, ob es um Alkoholismus oder Medikamentenmissbrauch geht.
Schmerz angemessen verarbeiten

Das Problem um unsere weithin irregeleitete Haltung, um unsere Fehlhaltung also dem Schmerz gegenüber ist wahrhaft vielschichtig und weitreichend. Daher will ich mich hier auf wenige Aussagen beschränken, die jeder bei sich nachvollziehen kann. Ich brauche mir nur einige Fragen zu stellen, die mein Verhältnis zum Schmerzempfinden betreffen. Beispielsweise:

Was tue ich, wenn ich mir weh tue, mich stoße oder verletze? Lasse ich den Schmerz zu und lege eine Pause ein, bis er abgeklungen ist – oder greife ich gleich zur Schmerztablette? Wie viel Schmerz bin ich bereit auszuhalten, bevor ich dagegen vorgehe? Kenne ich Methoden, wie ich Schmerzen ohne Schmerztabletten verarbeiten kann, beispielsweise einfache Atemübungen? Nehme ich Schmerz als das, was er sehr oft ist – als Warnsignal, das mich dazu bringen soll, mein Verhalten zu überdenken? Oder ist er mir nur ein Störenfried, der meine Pläne durchkreuzen will?

Das gilt entsprechend – und mehr! – für seelischen Schmerz. Wir können sicher sein, dass wir seelischen Schmerz, den wir blockieren, demnächst als körperlichen Schmerz wahrnehmen müssen. Das kann jeder bei sich beobachten, und im Grunde weiß es auch jeder. Das sind die Mechanismen, nach denen Leben im menschlichen Körper funktioniert. Grundlegende Funktionszusammenhänge – da müssen wir keine Psychologen bemühen, das ist ur-menschliches Geschehen. Wenn wir das leugnen, legen wir die wirklichen Keime für künftige Erkrankungen.

Die natürliche Folge einer solchen Fehlhaltung den natürlichen Gefühlszuständen des eigenen Körpers, der eigenen Seele gegenüber ist, dass wir uns dem eigenen Körper zunehmend entfremden. Die Distanz zu unserer körperlichen Wirklichkeit, die doch die Grundlage unseres irdischen Lebens ist, wird immer größer. Was daraus werden kann, haben wir im Zusammenhang mit dem Entstehen der Angst – im Zusammenhang mit dem Verlust des Urvertrauens besprochen. Wir hätten also allen Grund, dem Schmerz in unserem Leben eine größere Aufmerksamkeit zu widmen – und, vor allem, Schmerz als natürlichen Bestandteil unseres Lebens zu akzeptieren.
Nicht unnötig leiden

Das heißt nun keinesfalls, dass ich einer masochistischen, auf Leiden gerichteten Grundhaltung das Wort reden will. Im Gegenteil. Ich möchte erreichen, für mich und alle, die mir zuhören, dass wir das Leben freudig, produktiv und genussvoll gestalten können. Und vor allem, dass wir so gut als möglich gesund bleiben. Es ist also beileibe keine Leidensphilosophie, die ich hier weitergeben möchte. Ich halte nichts von Leid und Leiden über ein unvermeidbares Maß hinaus. Ich lehne auch Leiden aus religiösen Gründen ab. Ich möchte n u r erreichen, dass wir die menschliche Natur nicht zu einer Karikatur ihrer selbst machen, in dem wir weiterhin eine groteske ‚Schmerzbekämpfung’ betreiben, wie sie heute weit verbreitet ist. Punkt.

Leider betrifft diese Fehlhaltung dem Schmerz gegenüber auch die medizinischen Gepflogenheiten von Ärzten – und nicht nur in den Kliniken. Der Griff zu Schmerz lindernden Mitteln ist allzu oft unbedacht und leichtfertig – auch bei Ärzten oder dem Pflegepersonal. Das mag aus ehrenwerten Gründen geschehen und ist dennoch schädlich, weil kurzsichtig.

Gerade in Kliniken ist Schmerzausdruck beim Patienten ein Problem. Ein Patient, der weint oder gar schreit, scheint für eine normal funktionierende Klinik unerträglich. Doch das muss nicht sein – und Beispiele in neuerer Zeit zeigen, dass viele Kliniken dazu übergehen, Schmerzverarbeitung – also nicht Schmerzbekämpfung – mit anderen als medikamentösen Mitteln anzugehen. Beispielsweise durch Akupunktur. Oder schlicht durch menschliche Zuwendung, durch tröstende Gesten, durch mitfühlendes Verhalten. Zugegeben, das stellt hohe Anforderungen an ein – meist überfordertes – Pflegepersonal. Doch es lohnt sich – für den Patienten ebenso wie für die Klinik. Der Erfolg bei der Krankenbehandlung wird ihr Recht geben.
Schmerz ist der Schlüssel

Eine natürliche Schmerzverarbeitung ist, so meine ich, der Schlüssel bei jeder Erfolg versprechenden Krebsbehandlung. Es ist eine Unsitte, wenn Ärzte dem Patienten weismachen, der Tumor selbst sei die Ursache eines unerträglichen Schmerzes, den man nur mit stärksten Betäubungsmitteln beseitigen könne. Vor allem im fortgeschrittenen Stadium seien Opiate und Ähnliches unerlässlich. Das ist kein fiktives Beispiel, ich habe es kürzlich erlebt. Hier fehlen einfach die primitivsten Kenntnisse von den Zusammenhängen im natürlichen Körper – insbesondere fehlt ein ursprüngliches Wissen über die Verbindung von Schmerz und Angst.

Wir sind uns alle einig darüber, dass jeder Krebspatient ein Problem mit der Angst hat – genauer: mit der Angstbewältigung. Angst macht ‚eng’ – wie der Name sagt. Angus ist lateinisch und heißt ‚Enge’. Angst spannt an. Und in der Enge, in der Anspannung steigert sich der Schmerz.

Daher heißt die Grundlage jeder praktischen Schmerztherapie – Entspanne Dich! Natürlich ist das schwierig, und es will geübt sein. Doch ich habe erst kürzlich wieder erlebt, wie sehr schon kleine Hilfestellungen zu helfen vermögen. Hier ist kurz das Beispiel:

Eine Patientin rief mich an, weil sie unter unerträglichen Schmerzen litt – sie war, im fortgeschrittenen Stadium einer Krebserkrankung – aus dem Bett gefallen und hatte sich den Oberschenkelhals gebrochen. Die Schmerzen waren so schlimm, dass sie eine hohe Dosis an Morphium brauchte – so schien es. Doch das führte dazu, dass sie nachts aufwachte und Panikattacken erlitt - angeblich bekam sie Angst vor der Nachtschwester. Und tagsüber kam sie nicht mehr richtig zu sich und sprach irre. Ein Zustand, den sie selbst unerträglich fand. Ich erklärte ihr kurz den Zusammenhang von Schmerz und Angst - und gab ihr den Rat, die Schmerz- und Schlafmittel soweit zu reduzieren, wie sie es gerade aushalten konnte. Und mit einfachen Atemübungen, die ich beschrieb, den Schmerz zu verarbeiten. In der Folgezeit konnte sie länger schlafen, sie verlor die Angst vor der Nachtschwester – und sie war wieder bei klarem Bewusstsein.

Gerade bei der Krebserkrankung bekommen Methoden einer natürlichen Schmerzverarbeitung eine zentrale Bedeutung, ja geradezu eine Schlüsselfunktion für eine erfolgreiche Therapie. Ich denke und hoffe, das wird zunehmend erkannt. Denn damit kann allen Krebspatienten effektiver geholfen werden – ganz gleich, welche Art von Therapie sonst noch angestrengt wird. Das müsste nach allem, war wir bisher zum Krebsproblem sagten, logisch und einsichtig genug sein, um dem Schmerzproblem eine größere Aufmerksamkeit zu schenken, als dies gemeinhin heute geschieht.

Ich kann nur hoffen, dass jeder, der sich dem Krebsproblem konfrontiert sieht, gelernt hat oder spätestens jetzt lernt, seinen eigenen Schmerz anzunehmen und in natürlicherweise zu verarbeiten. Damit er weniger – und nicht mehr – Schmerzen erleiden muss, ganz gleich, welchen Verlauf seine Erkrankung sonst noch nimmt.

Das gilt auch und besonders für jenen Abschnitt der Krankheitsentwicklung, den man aus medizinischer Sicht die Endphase nennt – genau genommen gibt es so etwas nicht. Es gibt aber eine Zeit, in der wir uns entschließen, uns aus dem irdischen Dasein zurückzuziehen.

In dieser Zeit müssen wir keinesfalls mehr Schmerzen erleiden als vorher – das ist ein Märchen, das sich nur deswegen immer wieder zu bestätigen scheint, weil das ganze Problem von Schmerz und Angst, vor allem in den Kliniken, nicht richtig angegangen wird.

Bei einer natürlichen Entwicklung würde der Sterbeprozess, also das Sich Zurückziehen der Seele aus dem Körper, das Schmerzempfinden dämpfen und das Sterben erleichtern – nicht erschweren. Der Patient weiß, wenn er bei Bewusstsein ist, dass die Entscheidung gefallen ist und sein Leben zu Ende geht. Wenn er jetzt eine tröstliche Begleitung erhält, und vor allem ein Bewusstsein von dem unzerstörbaren Weiterleben der Seele bewahrt hat, wird gerade diese Zeit des Sterbens nahezu schmerz- und angstfrei sein.

Zumindest könnte es so sein, wenn der Vorgang natürlich abläuft. Dafür gibt es ausreichend viele Beispiele, die sich jeder interessierte Mediziner ansehen kann, um seinen Irrglauben – so er ihn hat – ablegen zu können. Das, so finde ich, ist absolut notwendig – um dem Sterbenden die Würde zu lassen und ihn in Ehren gehen zu helfen. Wir geben ihm jetzt – nicht nach dem Tod – die letzte Ehre. Jetzt kann er sie noch mitnehmen, nachher ist es nur noch eine Ehre für die Hinterbliebenen.
Immer wieder Widersprüche

Ich kann zum Schluss also nur betonen, dass uns dieses unser Leben immer wieder in Widersprüche verwickelt, wenn es uns eine wichtige Lehre mitgeben will. Diese Botschaft wurde im Buddhismus längst erkannt und dementsprechend werden dort die Schüler ausgebildet. Leider fehlt uns im Westen diese Einsicht – und die Ausbildung.

Es geht nicht darum, einen unlösbaren Widerspruch zu lösen, sondern ihn zu durchschauen. Und das heißt, die Lehre zu erkennen, die darin eingewickelt ist. Und auch das ist Entwicklung.

Wenn wir das nicht erkennen oder akzeptieren wollen - fängt das Ganze von vorne an. Dann tritt das Problem wieder und wieder auf und wir werden, irgendwie, schließlich alle dahin geführt, wo die Lösung liegt. In die Wahrheit. Oder in die Krankheit.

Aber ich denke, es könnte euch klar werden, dass wir eine große Chance haben, die Lösung unseres Problems schnell und ohne große Zerstörung zu finden, wenn wir uns darauf einlassen, dem Problem auf den Grund zu gehen und nach der Botschaft, nach der Lehre zu forschen, die uns in dieser oder jener Zwangslage vermittelt werden soll.

Andererseits kann uns weder die Zerstörung von Krebszellen noch die Zerstückelung unseres Körpers auf dem Operationstisch diese Erkenntnis bringen, deren wir in dieser Situation bedürfen. Nur wir selbst sind dazu in der Lage. Mit oder ohne fremde Hilfe. Aber ganz sicher mit aller Hilfe, die unser Inneres Selbst oder unsere Seele uns – im Einklang mit der Natur dieser Erde – zu geben vermag. Gott gebe, dass wir sie annehmen.

So viel für heute

Krebs V

5. Vortrag zum Krebsproblem vom 9. Oktober 2004



Das geistige Problem verstehen


Wissenschaftsgläubig?


Nichts als Kampf?


Aggressiv leben


Wozu eine aggressive Krebstherapie?


Alternative Auffassungen


Gefühle haben Wirkung


Negative Gefühle nicht blockieren


Überfordere dich nicht


Sei spontan


Eine Frage der Abwehr


Wie viel Mitgefühl ist gesund?



Das geistige Problem verstehen

Wir blicken zurück auf Stunden, die wir nun dem Krebsproblem gewidmet haben, und noch immer sehe ich wichtige Themen, die wir noch nicht behandelt, allenfalls gestreift haben.

Wir erinnern uns, dass wir das Krebsproblem als die geistige Grundlage betrachtet haben, aus der heraus sich die Krebskrankheit entwickelt. Daher ist es unabdingbar, dass wir das Krebsproblem angehen, wenn wir die wahre Krankheitsursache behandeln wollen.

Wir haben auf immer neue Weise dargelegt, dass dieses Krebsproblem ein zutiefst individuelles Problem ist, das sich bei jedem Menschen, der darin verwickelt ist, auf seine ureigene Weise entwickelt. Es kann also so etwas wie eine allgemeine oder methodische Lösung nicht geben. Das gilt zwar in gewissem Maß für jede schwere Erkrankung, aber es gilt in besonderem Maß für die Krebserkrankung. Daher ist es unserer medizinischen Wissenschaft bisher nicht gelungen, auf ihrem Weg eine Lösung zu finden. Und, davon bin ich überzeugt, es wird ihr auch weiterhin nicht gelingen, wenn sie diese Grundtatsachen nicht endlich zur Kenntnis nimmt. Oder zumindest in Ansätzen erkennen lässt, dass sie sich weit mehr als bisher mit dem einzelnen Menschen befassen will, statt in allgemein gehaltenen Studien die ‚wissenschaftliche Lösung’ zu suchen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Krebskranke in hohem Maß an die ‚wissenschaftlich fundierte’ Krebstherapie glauben, und das ist verständlich. Sie leiden an einer unheimlichen Angst, die ihnen selbst ein Rätsel ist. Einer Angst, die wiederum die Krebserkrankung vor allen anderen Krankheiten auszeichnet, wie es scheint.

Da ist es kein Wunder, dass sich jeder Krebskranke an die Autorität der Wissenschaft klammert. Verunsichert, wie er in seinem Zustand ist, kann er nicht anders als an die Richtigkeit jener Maßnahmen zu glauben, die ihm von der Wissenschaft angeboten werden. Haben nicht Abertausende vor ihm diesen Weg eingeschlagen? Sind nicht die bekanntesten Ärzte, die besten Spezialisten, die berühmtesten Krebsforscher unserer Zeit ständig damit befasst, neue Heilmethoden für diese heimtückische Krankheit zu entwickeln? Was also könnte besser sein als die konventionelle Krebstherapie, auch wenn diese so schlimme Folgen haben kann? Und ist das nicht immer noch besser, als am Krebs zu sterben?

Wie, so frage ich, sollte der Laie sich eine eigene Meinung bilden können, wenn das Gebiet der Krebsforschung selbst für die Fachleute so unüberschaubar groß geworden ist? Muss er nicht dem Spezialisten vertrauen, von dem er doch annehmen muss, dass er sich am besten mit dieser Krankheit auskennt?

Solche Fragen habe ich oft gehört und konnte darauf nur antworten: Das ist alles richtig. Doch – worum geht es wirklich? Geht es nicht um DEINEN kranken Körper? Ist nicht der Tumor in diesem Körper entstanden, der DIR so vertraut ist wie keinem sonst? Wie also sollte sich irgendein anderer Mensch, und sei er noch so bewandert in den medizinischen Wissenschaften, besser in deinem Körper auskennen als du selbst?

Nicht wahr, auch diese Fragen sind berechtigt. Und dennoch bleiben die Zweifel, und das verstehe ich gut. Wie sollte auch der Laie durchschauen, dass die Wissenschaft selbst – und gerade die medizinische Wissenschaft – sich auf einem Irrweg befinden könnte? Müsste er dazu die Regeln und Methoden, nach der wissenschaftliche Erkenntnisse in der Medizin gewonnen werden, nicht besser kennen als die beteiligten Spezialisten?

Nun, nicht ganz. Der Krebspatient sollte durchaus daran zweifeln, dass die Medizin, der er vertraut, über das beste Werkzeug, die beste Technik, die beste Methode verfügt – auch wenn modernste Geräte eingesetzt werden, die selbst Unsummen kosten. Er sollte sich ein paar Gedanken über diese Wissenschaft machen, der er seine Gesundheit und sein Leben anvertrauen will.
Wissenschaftsgläubig?

Ich habe wiederholt die ‚wissenschaftliche Seite’ des Krebsproblems dargelegt, und bin mir bewusst, dass ich mich mehr auf die populär-wissenschaftlichen Meinungen unserer Zeitgenossen beziehe als auf seriöse wissenschaftliche Ansichten. Doch gerade diese sind es, die weit verbreitet sind und den Betroffenen verunsichern. Dass ‚Wissenschaft’ selbst, oder das, was man dafür hält, zum Problem werden kann, ist den meisten Menschen unserer Zeit nicht bekannt.

Doch ein Patient lernt es spätestens dann ‚kennen’, wenn er mit dem Krebsproblem konfrontiert wird – wenn er selbst nun vor der Frage steht, ist meine Krankheit wirklich Krebs, dieser gefürchtete Krebs? Bin jetzt ich doch noch an der Reihe? Oder wieder – wenn er mit der Krankheit früher schon konfrontiert war.

Krebspatienten hoffen auf das Ergebnis der medizinischen Diagnose und fürchten sie zugleich – wie ein Angeklagter sein Urteil! Wie wird sie ausfallen? Gutartig oder bösartig – das scheint die entscheidende Frage zu sein! Dabei durchschaut er selten, nach welchen Mechanismen in der Medizin eine solche Diagnosestellung abläuft. Und er durchschaut noch weniger, dass seine ganze Einstellung der Medizin gegenüber, ja, der Wissenschaft gegenüber, auf den Prüfstand kommt. Daher wollen wir einen Blick auf das werfen, was ich ‚wissenschaftsgläubig’ nennen möchte.

Ich bin mir sicher, dass viele von uns durch die zunehmende Ausbreitung wissenschaftlicher Ergebnisse, Erkenntnisse und schließlich wissenschaftlicher Überzeugungen und Glaubenssätze eine fatalistische Weltanschauung entwickeln. Die zunehmende Verwissenschaftlichung und die abnehmende Bedeutung der Religion in unserem Leben macht, dass wir nach und nach in eine ‚nihilistische Glaubenshaltung’ gezogen werden – meist, ohne dass wir es merken. Wir haben am Beispiel der Evolutionstheorie darüber gesprochen.

Ich meine, dass viele unserer geschätzten Zeitgenossen nicht mehr wirklich an ein Leben nach dem Tod glauben, sondern eher jenem ‚pseudo-wissenschaftlichen’ Standpunkt zuneigen, dass Leben sich zufällig entwickelt hätte - und mit dem Tod daher zu Ende wäre. Ich sage ‚pseudo-wissenschaftlich’, weil kein ernstzunehmender Naturwissenschaftler dies jemals bewiesen hätte.

Im Gegenteil, er muss aufgrund seiner wissenschaftlichen Ausbildung zugeben, dass wir darüber nichts wissen können. Es ist doch offensichtlich, dass wir Wissenschaftler nichts über das Leben nach dem Tod sagen können, weil dieser Zustand nicht im Labor erforscht und experimentell geprüft werden kann. Und dass wir über die Herkunft des Lebens nur spekulieren können, ist fast genau so offensichtlich – denn keiner war dabei, als es geschah. Wir projizieren doch bei solchen Fragen unsere heute gültigen Erkenntnisse in eine Zeit, die ‚eine Ewigkeit’ zurückliegt.

Wir unterliegen also einer Täuschung, wenn wir glauben, die Wissenschaft hätte die Religion, hätte die Aussagen der Religion zu unserer Herkunft als Mensch und zu unserem letzten Ziel in einer jenseitigen Welt widerlegt. Die Wissenschaft ist für solche Fragen nicht zuständig. Wissenschaft und Religion ergänzen sich, es kann nicht die eine die andere ersetzen. Wo sie das versucht, wird sie zum Aberglauben.

Sei es nun Aberglaube, wissenschaftlich verbrämt, sei es ein Mangel an religiösen Bezügen – der moderne Mensch weiß sich in unserer Zeit oft dem Leben ‚verhaftet’ und ausgeliefert – wie sollte er da positiv an den Tod, zumal an seinen eigenen Tod, denken?

Sterben war in unserer Welt immer gefürchtet, doch heute mehr als je. ‚Leben um jeden Preis’, heißt die Devise. Und wie steht es da mit der Lebensqualität? Nicht wahr, solche Fragen werden mehr und mehr aufgeworfen. Umso mehr, je gewalttätiger unsere moderne Medizin mit dem menschlichen Körper verfährt.

Nicht umsonst hat die ‚Sanfte Medizin’ so viele Anhänger gewonnen. Und es mehren sich die Stimmen derer, die eine andere Haltung dem Tod, dem Sterben, ja schon dem Altern gegenüber verlangen – und auch praktizieren.

Kurz und gut, was immer für den Einzelnen an Gründen maßgebend sein mag, entscheidend ist sein inneres Wertesystem, wenn es um Fragen von Leben und Tod geht. Und nach diesem Wertesystem scheint der Krebspatient das Leben unmöglich zu finden, das Sterben aber auch. Das ist vielleicht der tiefste Konflikt in uns, der in der Lage ist, solche Kräfte im Körper zu entwickeln, dass er buchstäblich in eine Krebserkrankung explodieren kann.

Wir kommen also nicht umhin, das Krebsproblem so lange in uns zu wenden, bis wir auch diese fundamentalen Fragen, die Frage von Leben und Tod und ein Leben nach dem Tod, im Visier haben. Daran führt kein Weg vorbei. Diese letzten Fragen, die der Mensch stellen und in sich bewegen kann, führen allemal über die Wissenschaft hinaus. Sein eigener Glaube wird ihn leiten, so oder so.

Diese Fragen sind so stark mit dem Krebsproblem – mit seinem eigenen Krebsproblem – verwoben, dass ihn keine medizinische Therapie davon befreien kann, wie erfolgreich sie auch den Tumor bekämpfen mag.

Und das heißt doch, dass sein Lebenswille, und damit seine Überlebenschancen, genau davon abhängen werden, wie er diese existenziellen Fragen des Menschen angeht und welche Antworten er findet. Und es werden am Ende seine eigenen Antworten sein, die über den Ausgang seiner Krankheit entscheiden.

Es hilft daher wenig, dem Krebspatienten immer wieder zu sagen, er müsse kämpfen. Das ist ein Aberwitz, wenn man die Zusammenhänge kennt. Natürlich wird er sagen, dass er nicht sterben will – wie sollte er auch? Selbst wenn er es wollte, heimlich, wenn er sich bei seinen verborgenen Gedanken ertappt - wie könnte er es zugeben? Wie könnte er Anderen gestehen, dass er nichts mehr Lebenswertes an diesem Leben findet?

Das ist ja sein Dilemma, dass er nicht sterben kann. Und nicht sterben will – einerseits. Schon gar nicht an dieser Krankheit, nicht am Krebs. Im Kampf gegen den Krebs, so scheint es, sind Patient und Arzt miteinander verbündet. Doch ist das wirklich die richtige Lösung für unser Krebsproblem? Warum hören wir immer nur ‚Krebsbekämpfung’, Tumorbekämpfung? Können wir nichts anderes mehr denken als dieses?
Nichts als Kampf?

Obgleich sich immer mehr Patienten nach ‚alternativen Wegen’ zur Krebsbehandlung umsehen, bleibt doch die Standard-Therapie das, was sie war – ein Kampf gegen die unerwünschten Symptome der Krebsgeschwulst, oder des ‚bösartigen Tumors’ und seiner Ableger, der Metastasen. Die Methoden sind ebenso bekannt wie sie gefürchtet sind. Sie dienen, wie man weiß, der Krebsbekämpfung und machen die Krebserkrankung erst zu dem, was sie uns allen gilt – eine heimtückische, bösartige und lebensgefährliche Erkrankung.

Daher müssen wir uns noch einmal mit dem geistigen Hintergrund befassen, der diesen gewalttätigen Kampf gegen Teile des menschlichen Körpers zu rechtfertigen scheint. Ich sage, wir müssen es, weil ich jedem Patienten wünsche, dass er eine bewusste Wahl trifft. Die Wahl nämlich, sich diesem offiziellen Kampf anzuschließen – oder sich ihm zu verweigern. Um dennoch zu überleben!

Ich habe in einem der vorigen Vorträge versucht, den geistigen Hintergrund zu erläutern, der sich durch weite Teile unseres gesellschaftlichen Lebens hindurch zieht. Ich sagte, wir folgen weithin einer Art ‚Kampf-Philosophie’ und erwähnte eine der bekannten Wurzeln dieser Geisteshaltung, die Lehre vom ‚Überleben des Stärkeren’.

Ich möchte betonen, dass wir es nicht Charles Darwin anlasten können, der zu seiner Zeit über den ‚Ursprung der Arten’ forschte und uns heute noch als einer der Väter der Evolutionstheorie gilt. Das war im 19. Jahrhundert, also zur Zeit der Industrialisierung in ihrem ersten großen Aufschwung. Er hat zum Ausdruck gebracht, was der Zeitgeist damals hervorbrachte und was seine Zeitgenossen zu glauben bereit waren.

Im wirtschaftlichen Bereich war es der Konkurrenzkampf, der für viele Menschen damals wirklich ein ‚Kampf ums Überleben’ war. Dieser Konkurrenzkampf setzte sich zwischen den Staaten fort als Kampf um Ressourcen und Märkte, und ging als Imperialismus in die Geschichte ein. Und auch dieser Kampf dauert bis heute an, auch wenn sich die Methoden geändert haben mögen.

Und auch heute noch ist zu hören, dass der ‚Kampf ums Überleben’ die Grundlage unserer menschlichen Existenz sei. Diese Aussage, so irrig sie auch ist, wäre an sich nicht so schwerwiegend, wenn nicht die ‚naturwissenschaftliche Weltanschauung’ gleichzeitig dem Menschen vermittelt hätte, dass Leben an sich auf Zufall beruhe – zufällige Begegnungen von Molekülen unter besonderen Bedingungen hätten dazu geführt, dass sich ‚Biomoleküle’ entwickeln konnten. Und diese wiederum seien, auf ihre Weise, die Stärksten gewesen und hätten so den Gang der Evolution bestimmt, an deren Ende schließlich der Mensch als letztes ‚krönendes Produkt’ einer Jahrmilliarden währenden Entwicklungskette erschien – wiederum als Stärkster auf Grund seiner überragenden Intelligenz.

Das Fatale an dieser Ansicht ist, dass der Kampf ums Überleben in letzter Konsequenz sinnlos ist – so sinnlos wie sein erstes Entstehen, als das Leben auf diesem Planeten begann. Sinnlos, weil letztlich doch der Zufall Regie führt. Verschärft wird diese Aussage noch dadurch, dass dem Leben ein geistiger Hintergrund abgesprochen werden muss, wenn man den Evolutionstheoretikern glaubt, denn schließlich sei Leben wie auch Bewusstsein an Materie gebunden – weil letztlich eine Funktion materieller Abläufe - und höre daher mit dem Tod des Einzelnen auf, endgültig, unabweisbar.

Kein Wunder, dass der Mensch in der Krise, und zumal in einer lebensbedrohenden Krise, verzweifelt nach dem Sinn des Lebens fragt. Doch hier lässt ihn die Wissenschaft im Stich – sie kann gar nicht anders. Denn die Sinnfrage lässt sich wiederum nur individuell sinnvoll beantworten – und anders als die gängige Naturwissenschaft es tut. Sinngebung ist ein zutiefst schöpferischer Akt, der von uns fordert, dass wir uns dessen bedienen, was die Naturwissenschaft dem Menschen abspricht – eine sinnvolle schöpferische Kraft, die sein ganzes Leben durchzieht.

Daher müssen wir uns klar machen, dass nicht der ‚Kampf ums Überleben’ das Entscheidende ist, sondern die Rückbesinnung auf die ursprünglichen schöpferischen Kräfte in uns, die uns von Natur aus verliehen sind. Das kann ich nicht oft genug betonen.

Vor diesem Hintergrund wird vielleicht deutlich, dass es sich schlimm auswirken kann, wenn wir einen Krebspatienten ständig zum Kampf ‚fordern’. Oft, gar zu oft, hat er sich in den vielen (und oft vergeblichen) Kämpfen seines Lebens schon erschöpft. Warum also denken wir immer nur an ‚Kampf dem Krebs!’, als sei dies die einzige Lösung?

Nun, wir alle wissen, dass eine aggressive Krebstherapie die logische Folgerung ist, wenn man der medizinischen Wissenschaft glaubt, die dem ‚bösartigen Tumor’ aggressives, ungeordnetes Wachstum bescheinigt? Könnte es sein, dass gerade der Krebspatient ein Problem mit der Aggressivität selbst hat – und dieses ungelöste Problem sich gleichsam in seine Krebsproblematik einnistet?

Ich will mir daher Gedanken über das Thema ‚Aggressivität’ machen und versuchen, einige wichtige Gesichtspunkte herauszugreifen, ohne allzu sehr in die Einzelheiten dieses weitläufigen und wahrlich zeitgemäßen Problemkreises zu gehen.
Aggressiv leben

‚Aggressiv leben!’ Das sage ich mit Bedacht. Aggressiv leben bedeutet, voran zu schreiten, seinen schöpferischen Impulsen zu folgen und sich dem Leben zu stellen. Immer oder, zumindest, immer wieder. Ganz gleich, in welche Situation wir uns gestellt sehen.

Natürlich weiß ich, dass man das Wort ‚aggressiv’ heute meist anders verwendet. Sei nicht so aggressiv! sagt man. Das heißt so viel wie ‚Sei nicht gewalttätig!’. Wir verwechseln oft Aggression mit Gewalttätigkeit. In diesem Sinne lehnen wir Aggression ab – denn Gewalt und Gewalttätigkeit, oder auch die Bereitschaft dazu, ist uns verhasst. Und auch dann, wenn es uns selbst mal passieren sollte, dass wir einen Gewaltausbruch erleben, und sei er noch so geringfügig.

Über Aggression und Aggressivität ist viel gesagt worden, und die Diskussion darüber, ob Aggressivität gut oder schlecht sei, lebt immer wieder auf, wenn Akte der Gewalt öffentlich bekannt werden. Die Diskussion ist müßig, solange wir nicht eine wesentliche Unterscheidung treffen und genauer sagen, was wir meinen. Das Wichtigste ist:

Wir müssen unterscheiden zwischen natürlicher Aggressivität und künstlicher Aggressivität.

Die erste Form der Aggressivität wohnt dem Leben selbst inne – insofern ist es doppelt ausgedrückt, wenn ich sage: aggressiv leben. Leben schreitet fort, es trägt seinen Fortschritt in sich – sonst gäbe es keine Zeit. Leben, wie wir es kennen, drängt geradezu in die Zukunft. Diesem Drängen zu widerstehen, heißt, das Leben in sich zu behindern, sich dem Leben zu verweigern. Das kann nicht gesund sein – ob es gut ist oder nicht, sei dahin gestellt, denn darum geht es nicht.

Wenn wir also ‚nicht aggressiv’ sein wollen, weil wir dem Missverständnis unterliegen, Aggressivität sei grundsätzlich schlecht, machen wir unserem eigenen Organismus eine Vorgabe, die ihn am Lebendigsein behindert. Wir schaden damit unserer Gesundheit, um es kurz und bündig zu sagen.

Wir machen damit eben jenen Fehler, den wir früher schon aufgespießt haben – wir durchtränken uns gleichsam mit einer ‚prinzipiellen Grundeinstellung’, die zu manchen Situationen passt – Sei friedfertig! Reg’ Dich nicht gleich auf! Bemühe Dich um einen Ausgleich! Und so fort.

In anderen Situationen aber kann sie hinderlich oder gar fatal sein. Beispielsweise wenn wir uns aus einer Gefahrenlage befreien wollen.

Das Problem ist also das altbekannte – wir können es nicht grundsätzlich, sozusagen ein für allemal, lösen. Die Lösung heißt vielmehr: Vermeide solche grundsätzlichen Vorgaben wenn irgend möglich!

Hier haben wir es allerdings mit einem viel schlimmeren Problem zu tun, das für einen Krebskranken zum Dreh- und Angelpunkt seiner Genesung werden kann. Ich will das im Folgenden erläutern.
Wozu eine aggressive Krebstherapie?

Ich wiederhole zunächst die gängige Ansicht, damit der Zusammenhang klarer wird.

Wir sagen also gemeinhin von den Krebszellen oder von einem bösartigen Tumor, er sei aggressiv. Oder er wachse aggressiv – nach medizinischer Auffassung ist das wohl so. Krebszellen wachsen in das gesunde Geweben hinein, als sei dieses nicht vorhanden. Sie ‚nehmen keine Rücksicht’ auf andere Zellen. Sie zerstören das gesunde Gewebe. Sie sind destruktiv, zerstörerisch.

Wir könnten die Beschreibung fortsetzen und an der üblichen Wortwahl erkennen, wie sehr wir ‚moralische Begriffe und Kategorien’ in die objektive Beschreibung eines Sachverhaltes bringen. Das ist natürlich unwissenschaftlich, aber – es drückt etwas Wesentliches aus. Wir haben in uns eine Ahnung von den wirklichen Zusammenhängen, um die es beim Krebs geht. Gemäß derselben medizinischen Auffassung gibt es auf eine solche ‚aggressive’ Wachstumsform nur eine angemessene Antwort – man muss sie vernichten. Gewalt auf Seiten der Krebszelle wird mit Gewalt auf Seiten der Therapie beantwortet. Zerstörung (durch die Krebszellen) wird mit Zerstörung beantwortet.

Dem normalen Menschen unserer Zeit wird dabei wohl selten bewusst, wie sehr wir allgemeine gesellschaftliche Probleme in das Körperliche, in unsere eigene körperliche Wirklichkeit hinein verlegen. Es scheint doch allen klar, die dieser Auffassung sind, dass es so sein müsse und alles andere, was die ‚Alternativ-Denker’ anbieten, sei bestenfalls Augenwischerei, schlimmstenfalls eine fatale Fehleinschätzung einer realen Gefahr.

Nun, werfen wir einen Blick auf unser gesellschaftliches Leben und fragen uns, wie es dort mit der Gewalt steht, wie wir dort auf Gewalt und Gewalttätigkeit reagieren. Auch in der Gesellschaft unserer Zeit gibt es sehr unterschiedliche Meinungen dazu. Nehmen wir beispielsweise ein aktuelles Problem – den Terrorismus. Eine gängige Meinung, der viele zuneigen, besagt, man müsse den Terrorismus bekämpfen. Schlimmer noch, sie wollen Krieg gegen den Terrorismus führen.

Nun ist unbestritten, dass Terroristen fehlgeleitete Menschen mit einer zutiefst fanatischen Lebenseinstellung sind, die offenbar keine Rücksicht kennen, die Schuldige und Unschuldige wahllos angreifen und nicht selten schwer verletzen oder töten. Und gar sich selbst dabei umbringen. Gewalt um der Gewalt willen – es ist schwer zu begreifen.

Doch es gibt einen Hintergrund für solche gesellschaftlichen Exzesse, und dieser ist nicht so unbekannt, wie man oft annimmt. Die Terroristen sagen oft genug, worum es ihnen geht. Ob man es billigt oder nicht, man sollte ihnen zuhören und versuchen, den Problemen auf den Grund zu gehen. Das zumindest würde ich von einem zivilisierten demokratischen Staat, der die Menschenrechte achtet, fordern.

Nun, die Krebszellen sprechen nicht so deutlich. Ihre Botschaft ist verschlüsselt wie ein Geheimcode. Und doch haben wir sie irgendwie verstanden, sonst hätten wir nicht entsprechend darauf reagiert – mit unserer Sprache, aber auch mit unseren Handlungen, die wir in diesem Fall ‚therapeutisch’ nennen. Wobei mir manchmal nicht ganz klar wird, ob diese Maßnahmen mehr gegen den Krebs gerichtet - oder für den Patienten gedacht sind. Ich hoffe doch, dass letzteres zutrifft.
Alternative Auffassungen

Alles für den Kranken - das zumindest kann man von jenen alternativen Methoden zur Krebsbehandlung annehmen, die ihr Augenmerk primär auf die Stärkung des Gesunden legen – wie beispielsweise die Immuntherapie des Krebses, die Dr. Josef Issels (ich erwähnte ihn bereits) in den Fünfziger Jahren begonnen hat.

Ganz gleich, mit welchen Methoden dies bewerkstelligt werden soll, und manche finde ich durchaus zweifelhaft, die Grundeinstellung des Arztes ist in dieser Therapierichtung grundlegend anders – nicht primär gegen den Krebs, sondern für den Patienten. Das gesunde Gewebe soll die Krebszellen vernichten, und dazu muss es gestärkt werden. Das ist durchaus eine gesunde Auffassung, auch wenn noch nicht begriffen ist, was hinter dem ‚aggressiven Wachstum von Krebszellen’ eigentlich steckt.

Unserem menschlichen Verstand scheint es unabdingbar, dass man dieses ‚abnormale Gewebe’ irgendwie beseitigen muss – oder zumindest daran hindern, weiter zu wachsen. Wie könnte man anders handeln? Wie könnte man Anderes denken?

Zugegeben, das geht mir auch so. Aber – wir sprachen darüber, dass wir sehr viel mehr auf unsere Gefühle und Empfindungen achten müssen als bisher, wenn wir das Krebsproblem erfolgreich angehen wollen. Die Lösung liegt vielleicht gar nicht im Denkbaren. Möglicherweise ist sie nur auf dem Gefühlswege zu finden? Dann wäre allerdings jede weitere Diskussion über diese oder jene Grundannahmen oder Konsequenzen einer Krebstherapie überflüssig.

Was ist nun richtig? Beides. Die Gefühle, so wissen wir heute, folgen den Gedanken. Es geht also doch um die richtigen Gedanken, wenn wir irregeleitete ‚Gefühle’ vermeiden wollen – vor allem solche ‚fanatischen’ Gefühle vermeiden wollen, wie sie im Krebsgeschehen Wirklichkeit werden. Im Krebsgewebe selbst sich buchstäblich ‚materialisieren’!

Wiederum zugegeben, das ist ein irrer Gedanke - dass wir anscheinend mit unseren Gedanken oder Gefühlen das Wachstum von Zellen beeinflussen könnten. Das scheint doch absurd, zumindest auf den ersten Blick.
Gefühle haben Wirkung

Vielleicht ist diese Ansicht nicht so absurd, wie wir zunächst annehmen möchten. Wir alle haben schon davon gehört, dass Menschen ‚mit dem grünen Daumen’ besonders gut mit Pflanzen umgehen können. Dass sie sogar mit den Pflanzen sprechen, ihnen Liebe und Zuwendung geben, als seien sie richtige Lebewesen. Als könnten sie gar unsere Sprache verstehen. Nun, ich habe noch niemand sagen hören, Pflanzen könnten unsere Sprache verstehen. Doch, und da sind sich die Fachleute einig, irgendwie reagieren sie auf unsere Gefühle. Angenehme Gefühle, wohlwollende Gedanken – das scheint eine Atmosphäre zu schaffen, in der das Wachstum – in diesem Fall von Pflanzen – besonders gut von statten geht.

Ich erinnere mich auch an die berühmten Backster Experimente mit Hibiskus-Pflanzen. Darauf will ich kurz eingehen.

Der Amerikaner Backster hat ‚seine Hibiskus-Pflanzen’ mit einem Messgerät verbunden und dessen elektrische Signale auf einem Schreiber aufgezeichnet. Er beschreibt dann ausführlich, wie er beobachtet habe, dass seine Zöglinge sogar auf seine Emotionen reagiert hätten, die er während der Fahrt im Straßenverkehr hatte – zum Beispiel auf Ungeduld und Stress. Vor allem aber sei die Auswirkung von Schreck auf die Pflanzen nachweislich von seinem Schreiber aufgezeichnet worden. Um sicher zu gehen, bedrohte er gar einen Hibiskus damit, ihn augenblicklich zu verbrennen. (Was er selbstverständlich nicht tat!) und beobachtete einen enormen Ausschlag an dem angeschlossenen Messgerät.

Ganz gleich, ob diese Experimente nun so waren oder nicht, es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass Pflanzen auf die Stimmungen derjenigen Menschen reagieren, die mit ihrer Pflege betraut sind. Und sind wir nicht auf einer tiefen körperlichen Ebene den Pflanzen oder dem Vegetativen noch verbunden? Sprechen nicht sogar die Mediziner vom ‚Vegetativum’ – und meinen damit die grundlegenden physiologischen Prozesse im Körper, die uns am Leben erhalten?

Zumindest unsere Atmung und unser Herzschlag sind sehr leicht durch unsere Gefühle zu beeinflussen, wie jeder weiß oder bei sich beobachten kann. Bei Schreck halten wir unwillkürlich die Luft an, in der Aufregung steigert sich der Herzschlag, und im Zorn erhöht sich der Blutdruck, mitunter dramatisch. Und wird nicht im Autogenen Training, das auch von Schulmedizinern anerkannt ist, eben auf diese Funktionen Einfluss genommen, um eine stressfreie und entspannte ‚körperliche Atmosphäre’ zu schaffen? Und dies nur mit Hilfe von Gedanken und Vorstellungen!
Negative Gefühle nicht blockieren

Es scheint also nicht so abwegig anzunehmen, dass unsere Gefühle zumindest unsere Körperfunktionen beeinflussen können. Doch es scheint davon abzuhängen, wie intensiv diese Gefühle sind. Dann scheint es nicht so schwierig sich vorzustellen, dass ‚extrem starke Empfindungen’ oder ‚fanatische Gefühle’ selbst das Wachstum von Gewebszellen beeinflussen könnten. Zumindest aber stören. Und zwar so erheblich stören, dass sie völlig aus ihrem gewohnten Rhythmus von Wachsen und Vergehen ausscheren. Und dass vor allem Gefühle, die über lange Zeit blockiert werden und keinen Auslass, keinen Ausdruck mehr finden, unter Umständen eine solche Zerstörung anrichten, wie wir sie im Krebsgewebe beobachten können.

Gewiss, das alles erklärt noch nicht die Krebsentstehung, aber die Hinweise auf eine gewichtige Beteiligung unserer Gefühle auf die Krankheitsentwicklung sind unabweisbar – vor allem jener Gefühle, die wir dauerhaft blockiert haben. Und hier scheinen unsere aggressiven Gefühle eine besondere Rolle zu spielen.

Zumindest können wir, so meine ich, es uns nicht leisten, solche wichtigen Hinweise außer Acht zu lassen, wenn es um ein so ernstes Thema wie Krebs geht.

Um es noch deutlicher zu sagen – ein Krebspatient darf bei sich vermuten, dass er aggressive und destruktive Empfindungen bei sich nicht zugelassen hat und weiterhin nicht zulässt. Dabei kann es um Hass, um Zorn, um Wut gar gehen. Also eigentlich um ur-menschliche Empfindungen, die jeder Mensch hat, wenn die Situation dafür geschaffen ist.

Die wichtigere Frage ist daher, warum hat er solche Gefühle verkramt oder verbannt? Will er sie grundsätzlich bei sich nicht dulden, eben weil er sie für ‚negativ’ hält? Oder für niedrig, zu niedrig für das Bild, das er von sich hat oder haben möchte? Oder hat er sie nur bestimmten Menschen gegenüber nicht zulassen können?

Die wahren Hintergründe wird er nur selbst herausfinden. Und er kann sie herausfinden, wenn er sich darum bemüht. Das, was ich über die möglichen Konsequenzen solcher ‚Gefühlsblockaden’ sagte, müsste ihn ausreichend motivieren, solchen Blockierungen auf den Grund zu gehen.

Keine Sorge, so schlimm ist das nicht. Denn es wird sich immer wieder erweisen, dass es sich um Missverständnisse handelt. Entweder hat er eine entsprechende Situation nicht richtig interpretiert (auch das gibt es häufig) – oder er trägt ein so hehres Selbstbild vor sich her, dass es ihm unmöglich erscheint, so ‚primitive’ Gefühle bei sich selbst zu dulden, zu erlauben, zuzulassen, Gefühle, die er bei Anderen ablehnt.
Überfordere dich nicht

Solche Fehleinschätzungen sind, gerade bei gutwilligen Menschen häufig zu beobachten. Man kann ihnen dadurch helfen, dass man ihnen zunächst erlaubt, alle Gefühle zu haben, deren Menschen fähig sind – das ist schließlich Sinn und Ziel einer menschlichen Entwicklung. Also dürfen sie auch mal Hassgefühle oder Wut bei sich entwickeln, wenn die reale Situation diese Gefühle berechtigt erscheinen lässt. Problematisch wird es erst, wenn diese Gefühle nicht wieder vergehen – was sie normalerweise tun. Also nicht das Auftauchen solcher negativen Gefühlszustände ist schlecht, sondern das Andauern.

Dann allerdings darf man sich fragen, warum sich solche destruktiven Gefühle nicht von selbst wieder auflösen oder auflösen lassen. Das ist meist ein Hinweis darauf, dass noch andere Probleme darunter liegen.

Man kann dann dem Betroffenen auseinandersetzen, dass das vollständige Blockieren negativer Gefühle praktisch dieselbe Wirkung hat, als würde er solche Gefühle ständig mit sich herumtragen. Der Unterschied besteht eher darin, dass sie ihm nun nicht mehr bewusst sind und daher ihre Wirkung im ‚Unbewussten’ entfalten können. Also – so argumentiere ich – haben sie dort nichts zu suchen.

Das zweite Argument ist, dass negative Gefühle noch lange keine negativen Handlungen nach sich ziehen müssen. Ich muss meine Hassgefühle, falls sie mal einem Peiniger gegenüber auftauchen, nicht an diesem auslassen! Ich kann sie bei mir halten und damit verhindern, in jene negative Spirale abzugleiten, die wir alle kennen, wenn wir unserem Hass oder unserer Wut freien Lauf lassen. Man kann sie auch so ausdrücken, dass sie niemanden verletzen und damit verhindern, dass nun auf der Gegenseite wieder Hass und Zorn die Oberhand gewinnen – mit den entsprechenden Folgen.

Ich denke, das ist uns allen klar oder zumindest theoretisch klar. Die praktische Anwendung kann erheblich schwieriger sein, zumal wenn wir uns das Wegdrücken über lange Zeit angewöhnt haben – aus welchen Gründen auch immer. Dann bedarf es einer längeren Zeit der Selbstbeobachtung, um solche Gefühlsblockaden in uns zu entdecken. Wir müssen dann buchstäblich lernen, uns an unsere eigenen negativen Gefühle ‚heran zu pirschen’, als seien es scheue Rehe, die bei der geringsten Störung in den Wald flüchten.

Ein anderes, häufig bei ‚Gutwilligen’ anzutreffendes Missverständnis ist die Forderung, man müsse alle Menschen lieben. Mag sein, dass sie dies mit einem christlichen Gebot begründen und verlernt haben, dass selbst das größte Vorbild christlicher Nächstenliebe – Jesus Christus - uns lediglich vorgeschlagen hat, unseren Nächsten zu lieben. Und auch diesen nicht mehr als sich selbst. Ich habe des Öfteren erlebt, dass Menschen mit einem solchermaßen übersteigerten ‚Anspruch an sich selbst’ erstaunt sind, wenn sie entdecken, dass sie hier tatsächlich ein sinnvolles Gebot ins Groteske übersteigert haben. Auch hier gilt, dass man eben nicht immer sagen kann „Je mehr um so besser!“ Das stimmt eigentlich selten.
Sei spontan

Kehren wir noch einmal zurück zu unserem Ausgangspunkt, also der Frage, wie viel Aggressivität ist sinnvoll und verträglich – für mich und für die Anderen. Ich für mich halte es mit der einfachen Faustregel:

Aggressiv sein ist erlaubt, wenn es niemanden verletzt. Das schließt jede Gewaltanwendung von vornherein aus.

Doch diese Regel ist, wie immer, nur ein oberflächlicher Fingerzeig für Ungeübte. Sie eignet sich mehr für Diskussionen als fürs praktische Leben. Denn im Leben ist es - wiederum – eine Frage des Gefühls. Wie fühle ich mich, wenn ich an mir selbst feststelle, dass ich aggressiv bin? Fällt es mir überhaupt noch auf oder bin ich so ‚angestaut’ von … schwer zu sagen, was es ist. Frust, Wut, Enttäuschung? Es ist nicht in den Worten. Doch jeder kennt sie, diese Spannung, die sich so gerne ein Opfer suchen würde, an dem man sich abreagieren kann.

Unsere Vernunft, so wir sie uns bewahren konnten, verhindert in solchen Situation einen unkontrollierten Gefühlsausbruch. Am besten ist Weggehen, notfalls weglaufen, wenn es die Lage erlaubt. Und, wenn man kann, einen gigantischen Schrei ausstoßen … wenn man sich traut.

Eine andere Schwierigkeit, die selbst diese einfache Regel mit sich bringt, ist die Frage, ist der Zweifel, ob man den Anderen möglicherweise verletzen könnte. Den Einen ist das egal und sie merken es, allenfalls, hinterher, wenn es passiert ist. Doch wir wollen ja vorbeugen. Und damit haben gerade Krebspatienten wieder ein Problem – sie müssten ihre Phantasie anstrengen, um sich die Möglichkeit vorher auszumalen, was die Konsequenz ihres Verhaltens ist. Da aber viele von ihnen ohnehin nach dem Muster verfahren: ‚Tue nichts, was Andere verletzen könnte!’ fällt es ihnen oft schwer, die augenblickliche Situation richtig einzuschätzen. Was ist zuviel, was ist zuwenig? Soll ich es darauf ankommen lassen oder halte ich mich auf alle Fälle zurück?

Diese Diskussion mit sich selbst läuft allzu oft im Untergrund ab und führt in der Regel zu keinem Ergebnis. Man muss in der realen Situation spontan entscheiden und sich darauf verlassen, dass man es richtig macht. Und richtig ist, was ich spontan mache! Das wird mir keiner unwidersprochen abnehmen, und doch ist es so. Und falls ich Fehler mache, kann ich mich noch immer entschuldigen. Und Fehler mache ich dann, wenn ich meine eigene Stimmung nicht richtig einschätze. Oder wenn ich glaube, ich könne mich auf meine Kontrolle verlassen. Oder wenn ich gar nicht merke, wie viele Gefühle ich bereits in mir angestaut habe – Gefühle, die irgendwann in den Ausdruck drängen. Auf die eine oder andere Weise.
Eine Frage der Abwehr

Ein anderes Problem besteht darin, dass wir in einer Zeit oder Welt leben, die Aggressivität immer wieder von uns fordert. Da hört man, man solle sich nicht alles gefallen lassen! Wie wahr! Doch was ist gemeint? Heißt das, man solle sich durchsetzen? Das kann auch richtig sein. Oder die Ellbogen gebrauchen? Das gilt nur für Menschen, die ihre Intelligenz im Ellbogen vermuten! Ich rate eher dazu, Herz und Verstand zu gebrauchen.

Solche oder ähnliche Ratschläge, wie gut sie auch gemeint sein mögen, geben oft jene weiter, die sie selbst nicht befolgen. Wem solche Zeitgenossen auf die Nerven gehen, der kann ruhig einmal zurückfragen, oder der Sprecher oder die Sprecherin mit diesem Rat denn gute Erfahrungen gemacht habe. Also etwa so: ‚Und, hat es dir geholfen? Erzähl mal!’ Das ist wichtig – man lässt sich Beispiele geben, und man wird erleben, wie die Neunmalklugen (hoffentlich) vernünftig werden. Für den Fall, dass nichts anderes fruchtet, darf man höflich nachfragen, ob denn der Andere den Eindruck habe, man möchte seinen Rat zu der Frage hören? Vielleicht handelt es sich ja um ein Missverständnis.

Wir leben also in einer Zeit oder Welt, die nicht so sehr darauf drängt, rücksichtsvoll zu sein. Die Älteren unter uns meinen, das sei früher besser gewesen. Da hätten gewisse Umgangsformen, die man als Kind hätte lernen müssen, dafür gesorgt, dass jeder die Grenzen eines anständigen Umganges miteinander wahrt. Nun, das mag sein, die Zeiten ändern sich und Egoismen stehen hier und da hoch im Kurs.

Auch hier hilft es uns, wenn wir uns vergewissern, welche ‚Gesellschaftsspiele’ oder ‚modischen Umgangsformen’ wir mitmachen wollen – und welche wir besser außer Acht lassen.

Gehen wir noch einmal zurück zum Anfang der Stunde. Ich sagte eingangs, wir müssten unterscheiden zwischen natürlicher und künstlicher Aggressivität. Diese Unterscheidung ist mehr als eine theoretische Wortspielerei. Wenn ich merke, dass ich leicht aggressiv werde, kann ich mich zuerst fragen, ob ich meine schöpferischen Kräfte angemessen einsetze und umsetze. Oder ob sich über längere Zeit ein Mangel an kreativem Ausdruck angesammelt hat. In diesem Fall heißt die Lösung: ‚Tu etwas, was dich befriedigt!’ Das hilft meistens.


Wie viel Mitgefühl ist gesund?

Eine andere Schwierigkeit mancher Menschen mit der Aggressivität – zumeist der von Anderen – hängt eng zusammen mit der Empathie, die manche unter uns in ausgeprägter Form besitzen, möglicherweise ohne es zu wissen. Sie sind so etwas wie ‚menschenfühlig’, also vergleichbar mit den Wetterfühligen, die auf atmosphärische Störungen heftiger reagieren als ihre Mitmenschen. Empathische Menschen sind von Natur aus sehr einfühlsam und sensibel, doch meist haben sie nie bewusst gelernt, damit umzugehen.

Ich sage solchen Menschen immer, wie wunderbar die Gabe der Empathie ist. Wie wertvoll sie ist, wenn man sie richtig einsetzt. Und wie unangenehm oder gefährlich sie werden kann, wenn man nichts darüber weiß und sie nicht kontrollieren kann.

Solche ‚unbewussten’ Empathisch Veranlagte haben zumeist ein Abwehrproblem, auf längere Sicht oft sogar eine ‚Immunschwäche’. Sie können sich ‚schwer abgrenzen’, wie die Psychologen sagen. Doch das hilft ihnen wenig, wenn man ihnen ihre ‚Schwäche’ vor Augen führt, ohne über ihre wirkliche Stärke zu sprechen und sie darin zu versichern.

Ich rate in der Regel dazu, sich im Spüren, im Hinspüren und Mitempfinden ganz bewusst zu schulen. Das kann man durchaus, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Am wenigsten hilft solchen Menschen die übliche Aufforderung, sie müssten sich eine ‚dickere Haut’ zu legen. Wie sollten sie das können? Sich abstumpfen und gefühllos werden? Das wäre fatal, denn es würde sie gerade in jene Blockierung ihrer eigenen Empfindungen führen, die es zu vermeiden gilt.

Seine empathischen Anlagen auszubilden, erfordert ein Mindestmaß an Eigenbeobachtung, einerseits, und eine freiwillige ‚Anteilnahme’, die sich der Betreffende selbst wählt. Das ist gleichsam die Grundregel: Wähle selbst, wann und wo du dich wie stark auf andere einlassen möchtest. Und lerne zu unterscheiden, in welchem Maß du dich an Andere anschließt – oder dich von ihnen vereinnahmen lässt!

Auch dazu ließe sich noch vieles sagen, was hier nicht ausgeführt werden kann, wenn wir uns nicht in Einzelheiten verlieren wollen. Doch ich denke, das ganze Thema der Empathie und ‚Mitfühlsamkeit’ ist noch wenig bearbeitet und ebenso wenig ist bekannt, wie wichtig es gerade für die ‚Harmoniesüchtigen’ unter den Krebspatienten werden kann.

Wie auch immer, wir könnten noch stundenlang Beispiele wälzen und Verhaltensregeln entwerfen. Die Frage nach einer angemessen ‚aggressiven Haltung’ – nicht zu wenig, nicht zu viel! – lässt sich nicht theoretisch lösen. Ich bleibe dabei und sage noch einmal: Sei spontan und folge deinen Impulsen! Einerseits. Sei achtsam und nehme wahr, was in dir und um dich herum vor sich geht. Andererseits.

Und denke daran, wir alle sind auf dem Weg, unsere Menschlichkeit zu entwickeln. Das braucht Zeit, viel Zeit.

Das war’s für heute.


Krebs VI

6. Vortrag zum Krebsproblem vom 16. Oktober 2004



Es geht auch um Schuld


Selber schuld?


Auch negative Gefühle sind wertvoll


Entledige dich der Schuld


Im Gnadenzustand


Blockierte Schuldgefühle lösen


Aggressive Gedanken


Aggression und Schuld


Auswege aus der Schuld

Es geht auch um Schuld

Es ist noch ein weiteres Thema zu besprechen, das mir bei Gesprächen mit Krebspatienten immer wieder begegnet ist: die Frage von Schuld, Sünde, Strafe und Erlösung. Dieses Thema rüttelt an den Grundfesten unserer Existenz und daher will ich es nur oberflächlich betrachten. Wer sich dabei betroffen fühlt, mag sich die Zeit nehmen und sich selbst klar machen, in welchen persönlichen Erlebnissen ihm die Frage von Schuld und Schuldhaftigkeit begegnet ist.

Ich möchte zunächst darauf hinweisen, dass

wir niemals frei von Schuld sein können, wenn wir an Schuld glauben.

Wo immer wir Schuld vermuten, bei uns selbst oder bei Anderen, wir werden sie finden, wenn wir danach suchen. Das liegt nicht daran, dass Schuld und Schuldigsein zu den Grundfesten menschlichen Lebens gehört. Ganz gewiss nicht, obwohl selbst in den klassischen Werken der griechischen Antike die tragische Verstrickung des Menschen in bewegender Weise dargestellt ist. Doch das hat nichts mit unseren Begriffen von Schuld zu tun und wir tun gut daran, solche Darstellungen nicht auf unsere Zeit und Welt zu übertragen.

Wesentlich bedeutsamer ist die Frage, wie sich Schuld und Schuldhaftigkeit in unsere christliche Lehre eingenistet haben. Dasselbe gilt für die Frage nach der prinzipiellen Sündhaftigkeit des Menschen. Wir dürfen sicher sein, dass sie in der ursprünglichen Botschaft von Jesus dem Christus nicht vorkamen. In dieser Botschaft ist von Liebe und Selbstbefreiung die Rede gewesen, und dies in jener unnachahmlich bildhaften Sprache, die uns heute noch erreicht.

Dagegen sind solche düsteren Elemente wie Sünde und Versündigung, Schuld und Verschulden eine Erfindung früherer wie späterer Zeitläufte gewesen, und sie haben sich leider noch nicht aus unserer christlichen Lehre eliminieren lasse. Da ist heute noch vom ‚Sündenfall des Menschen’ die Rede – des Urmenschen gleichsam, und daraus wird die ‚Ursünde’ oder ‚Erbsünde’ abgeleitet, die unser menschliches Erbe sein soll. Solche Gedanken widersprechen allem, was ursprünglich christlich war – und wir tun gut daran, sie aus unserer Weltanschauung zu verbannen.

Das betrifft, tragischerweise, auch Jene unter uns, die sich für areligiös halten oder sich vom christlichen Glauben distanziert haben. Die meisten unter uns haben solche Glaubenssätze in früher Kindheit aufgenommen, sei es im Elternhaus, in der Schule oder einfach im Umgang mit anderen Menschen, die solche veralteten Überzeugungen selber hatten. Anders gesagt, Worte, die mit Schuld und Sünde zu zusammenhängen, sind in unserer Kultur tief verankert, und das lässt sich leicht überprüfen. Wir brauchen nur zu sammeln, in welchen alltäglichen Zusammenhängen von ‚schuldig sein’ oder ‚sündig sein’ gesprochen wird – und wir werden uns wundern, wie häufig diese Worte in Bereichen unseres Lebens auftreten, die nun wirklich nichts mit Religion zu tun haben.

Sagen wir nicht beispielsweise in der Rechtsprechung noch heute: ‚Schuldig oder nicht schuldig?!’, oder ‚Schuldspruch’ oder ‚Verschulden’. Oder wenn es ums Geld geht, dass wir ‚Schulden machen’? Oder, wenn wir einen Unbekannten ansprechen, ‚Entschuldigen Sie, können Sie mir sagen wie spät es ist?’.

Solche banalen Sätze sorgen ebenso wie die schwerwiegenden Urteile und Schuldzuweisungen in unserer Rechtsprechung dafür, dass Schuld und Strafe in unserer Zeit lebendig bleiben und uns sozusagen aus den Grüften der Geschichte noch erreichen. Das spielt im Allgemeinen keine große Rolle, wenn wir gesund sind und es uns gut geht. Werden wir aber von einer schweren Krankheit oder Krise ‚heimgesucht’, können sich solche Fragen schnell in uns erheben – und zu drohenden Gespenstern werden.

Bei einer harmlosen Erkrankung mögen wir fragen, ob wir ‚selber schuld’ sind, ob wir unsere Gesundheit leichtfertig aufs Spiel gesetzt haben. Und das kann sich steigern bis hin zu Ansichten, die es in früheren Zeiten häufig gab – dass nämlich Krankheit eine Strafe für früher begangene Sünden sei. Abstrus, nicht war?

Doch wir brauchen nur auf unsere Träume zu achten und werden Hinweise darauf finden, dass auch wir gegen solche Gedanken nicht völlig immun sind.

Bedenklich finde ich in diesem Zusammenhang, dass mit dem Aufkommen der ‚Esoterik’ in den westlichen Ländern solche verqueren Ansichten in modischem Gewand auftauchten und verbreitet wurden. Da ist nun nicht von Schuld oder Sünde die Rede, sondern neudeutsch von ‚Karma’. Und es wird verbreitet, dass wir nicht nur durch unsere Handlungen in der Vergangenheit – also in diesem Leben - ‚schuldig geworden’ sein können, sondern Schuld sogar in ‚früheren Leben’ angehäuft hätten und nun dafür ‚büßen’ müssten. So grotesk dies anmutet, man hört dies auch von Menschen, die sich für aufgeklärt halten und von ihrer traditionellen Religion distanziert haben. Und sie merken nicht, dass sie den alten ‚christlichen’ Irrglauben nun in neuen Begriffen und Formulierungen wieder hervorkehren.

Nicht selten tarnen sich solche veralteten Glaubenssätze in unverdächtigen Ansichten, die anscheinend nichts mit Schuld und Sünde zu tun haben. Kürzlich fragte ich eine Frau in einer schwerwiegenden Lebenskrise, ob sie an die Sünde glaube. Nach kurzem Nachdenken verneinte sie es. Dann fragte ich sie, ob sie an die Erlösung glaube. Hier nickte sie heftig – und es war ihr nicht bewusst und auch nur schwer klar zu machen, dass Erlösung die Existenz von Schuld oder Sünde voraussetzt. Sprechen wir nicht noch heute im Vaterunser ‚… und vergib uns unsere Schuld!’ oder ‚… und erlöse uns von dem Übel!’? Was meinen wir denn damit?

Es reicht also in gewissen Situationen nicht, dass wir meinen, wir hätten den ‚Glauben unserer Väter’ hinter uns gelassen. Es mag stimmen – oder auch nicht. Ich wäre vorsichtig mit solchen Behauptungen, wenn ich mir nicht zuvor klar gemacht hätte, was denn unsere Vorfahren geglaubt haben.

Und auch aus diesen Gründen fühle ich mich gedrängt, auf das Thema von Schuld und Strafe, Sünde und Sühne einzugehen, wenn es um die Krebserkrankung geht. Dafür habe ich noch ein anderes Argument.
Selber schuld?

In früheren Diskussionen unter Naturheilärzten war immer wieder mal die Meinung zu hören, die Schulmedizin mache einen Fehler, wenn sie die bösartige Krebserkrankung und die Tumorentwicklung in eins setze. Nun, es ist unbestritten, dass es gutartige Tumoren gibt. Und es ist auch schon beobachtet worden, dass man bei Krebskranken wohl ‚Metastasen’ fand – aber keinen ‚Primärtumor’. Möglicherweise sind die ‚inneren Bedingungen’ des Kranken, die den Tumor hervorbringen, grundsätzlich andere als jene, die den ‚bösartigen Krebs’ bewirken.

Andererseits könnten beide Voraussetzungen – also für Tumorentstehung und Krebsentwicklung – so häufig zusammentreffen, dass es aussieht, als sei die ‚Ursache’ von beiden ein und dasselbe. Ich möchte vorsichtig sein und eher annehmen, es handle sich um zwei Ursachen oder Ursachenkomplexe – und dann untersuchen, wie sie sich zu einem undurchdringlichen Ganzen verbinden und damit den ‚bösartigen Tumor’ hervorbringen.

Und aus dieser Vorsicht heraus möchte ich noch einmal betonen, dass es nicht um zwingende Gedanken oder Beweise geht, ja noch nicht einmal um Annahmen im wissenschaftlichen Sinn. Ganz im Gegenteil, wir verfolgen hier eine gänzlich andere Linie. Ich möchte dem Einzelnen helfen, seinen eigenen blockierten Gefühlen auf die Spur zu kommen. Und da mag ihm einer der vielen Hinweise, die wir in diesen Vorträgen gehört haben, von Nutzen sein.

In dem Buch der amerikanischen Autorin Jane Roberts ‚Die Natur der persönlichen Realität’ sieht sie - als SETH, dem sie medial ihre Stimme verleiht – in verdrängten oder blockierten Schuldgefühlen die Ursache für die Tumorentstehung.

Schuldgefühle wuchern! lautet der Schlüsselsatz in diesem Buch. Eine interessante Sicht einer geheimnisvollen Wachstums- oder Entwicklungsstörung, die wir Tumor oder Geschwulst nennen.

Das Problem dabei ist, dass es nicht die Schuldgefühle sind, die wir bewusst in uns tragen. Es sind wieder einmal die unbeachteten oder geleugneten Gefühle, die sich in uns abgelagert haben – zu einer früheren Zeit. Doch Gefühle kennen keinen Kalender, sie halten sich nicht an die Uhr, der wir folgen. Sie haben fast etwas Zeitloses an sich. Und das gilt auch für Schuldgefühle. Schuldgefühle sind Gefühle, das stimmt. Aber auch sie stammen aus irrigen Annahmen und fehlgeleiteten Gedanken. Doch wie sollten wir sie erkennen, wenn sie in uns ‚blockiert sind’?

Nun, ganz entscheidend für eine erfolgreiche Arbeit wird sein, wie wir generell zu unseren Gefühlen stehen. Wie gut kenne ich mich und meine Gefühle? Wie stehe ich überhaupt zu Gefühlen und welche Bedeutung haben sie in meinem Leben? Welche Art von Gefühlen würde ich nicht in mir entdecken wollen?
Auch negative Gefühle sind wertvoll

Es ist nicht so, dass diese ‚verleugneten’ Gefühle in uns verloren gehen können. Sie sind Teil unseres ‚umfassenden Gedächtnisses’. Wir können sie durchaus erinnern. Fragt euch einmal, wie ihr euch damals gefühlt habt, als ihr eine Prüfung glücklich bestanden habt. Oder wie war es am letzten Weihnachtsfest? Oder bei der letzten Geburtstagsfeier? Oder … sucht selbst nach dem ersten bedeutsamen Ereignis, das euch einfällt – und versucht, die Gefühle zu erinnern, die euch damals bewegt haben.

Ihr werdet erstaunt sein, dass sich Gefühle ebenso leicht erinnern lassen wie Fakten oder Auswendig Gelerntes. Es ist nur ungewohnt, aber nicht unmöglich. Und bei einiger Übung könnt ihr sogar Gefühle erinnern, die euch damals, als das Ereignis stattfand, nicht bewusst waren, oder nicht aufgefallen sind.

Wie gesagt, der Mensch ist ein vielschichtiges Wesen. Seine Gedanken arbeiten unaufhörlich, und Gefühle desgleichen. Sie sind sozusagen die ‚innere Atmosphäre’, die sich über die Landschaft unseres Erlebens ausbreiten und ihr Stimmung und Farbe verleihen. Ohne Gefühle wäre unser Erleben nur ein Schattenbild mit unscharfen Konturen. Erst unsere Gefühle machen das Erleben zu einem ‚plastischen Gebilde’, das den Ereignissen in unserem Leben Tiefe, Farbe und Bedeutung verleiht. Wenn wir den Gefühlshintergrund unserer wichtigsten Erlebnisse nicht wahrhaben wollen, degradieren wir die Botschaften unseres eigenen Lebens zu einer Art nüchternem Polizeibericht. Das ist unmenschlich und unserer nicht würdig.

Wie kommt es also, dass wir die wahre Bedeutung unserer Gefühle so herabwürdigen, dass sie uns eher wie ein Relikt aus einer vorwissenschaftlichen Zeit erscheinen? Nun, die Frage ist zu allgemein gestellt und kann so nicht beantwortet werden. Es gibt viele Gründe, die zu dieser Entwicklung geführt haben. Nennen wir ein paar der auffälligsten.

* Gefühle galten lange als Domäne des weiblichen Geschlechtes. Das ändert sich in unserer Zeit. Aber es ändert sich langsam.
* Gefühle sind immer zwiespältig, unscharf, schwer zu bestimmen und schon gar nicht zu definieren. Wer könnte schon sagen, was Glück ist? Wer könnte sagen, was Schmerz ist? Wer fühlt, der weiß es. Und anders kann man es nicht vermitteln. Daher sind wir Menschen in unserer Kommunikation auf Mitgefühl und Einfühlungsvermögen angewiesen. Und wir haben die Gabe, diese Eigenschaften zur Blüte zu bringen. Oder auch die Wahl, sie zu vernachlässigen und gering zu schätzen. Allerdings mit verheerenden Folgen, wie wir aus unserer jüngsten deutschen Geschichte wissen.
* Gefühle sind wissenschaftlich nicht zu erfassen, weil Gefühle immer subjektiv sind. Wissenschaft aber strebt nach Objektivität. Die wissenschaftliche Methodik, so glaubt man noch immer, müsse sich der subjektiven Gefühlswelt entledigen, damit wissenschaftliche Ergebnisse allgemeingültig werden. Das hört sich zwar schön an, ist aber unsinnig. Denn damit gelten wissenschaftliche Ergebnisse nicht für den Menschen, allenfalls für Maschinen. Wissenschaft ist also seit langem dabei, den Menschen selbst zu ‚entmenschlichen’. Das Ergebnis sehen wir unter anderem in der modernen Medizin und in unserem ‚zivilisierten Gesundheitswesen’.

Die westliche Welt hat sich in der Neuzeit unbezweifelbar einseitig entwickelt. Einem gigantischen Fortschritt auf technischem Gebiet steht ein unübersehbarer Mangel an Entwicklung in allen Fragen gegenüber, die für den Menschen selbst existenziell sind. Glück, Angst, Freude, Schmerz, Lust, Trauer, Hoffnung, Angst, Erfüllung, Verlust, Friede, …

Das geht so weiter und findet kein Ende – so lange wir leben. Wir alle kennen diese erhabenen oder auch kleinlichen Zustände, die uns das ganze Leben hindurch begleiten. Sie machen das Leben lebenswert, der Wohlstand ist doch nur Beiwerk. Es steht geschrieben: „Ihr sollt nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost zerfressen!“ Wonach also streben wir wirklich?

Nach Wissen oder Weisheit? Was gilt uns mehr, ein unerschöpfliches Reservoir von Fakten, die uns heute über Computer verfügbar werden – oder jene kleinen Freuden, die das Leben versüßen? Auch hier kann nur jeder in sich selber forschen, was er vom Leben erwartet. Oder was das Leben ihm schuldig blieb!
Entledige dich der Schuld

Kehren wir zurück zu unserem Thema ‚Schuldgefühle’. Schuldgefühle hat nur der, habe ich eingangs gesagt, der prinzipiell an die Schuld und an das Schuldigwerden glaubt. Doch auch dann bräuchten wir keine ‚Schuldgefühle’ in uns entwickeln.

Ich behaupte, dass kein Mensch Schuldgefühle haben kann, der sich zu jeder Zeit seiner Gefühle bewusst ist. Doch wer wäre das? Wer könnte das? Ich kenne niemanden in unserer Zeit, der dazu fähig wäre. Am ehesten können unsere Kinder noch ihre Gefühle haben - sie haben, und sie ausdrücken. Bis auch sie es verlernt haben werden. Das gehört, so glauben wir noch immer, zum Erwachsen werden.

Schuldgefühle, so finden wir heraus, wenn wir uns darum bemühen, sind komplex. Man spricht daher auch von Schuldkomplexen. Doch im Grunde ist es einfach – die ‚Geschichte vom Sündenfall’, nachzulesen im Alten Testament, gibt uns eine einfache Erklärung, wie es dazu kam, dass die ‚menschliche Evolution’ das Schuldgefühl erfand. Sicher, die Geschichte ist verschlüsselt und man muss sie richtig verstehen. Ich verstehe sie so:

Der Mensch lebte einst in einem Zustand des ‚Urvertrauen’, bevor die Entwicklung seines ‚spezifischen Intellektes’ (wie wir ihn heute kennen) einsetzte, eingebunden in die allgegenwärtige Natur. Dann trat die ‚Versuchung’ – symbolisiert durch die Schlange – an ihn heran. Das heißt, die Entwicklung steht nie still, heißt, es war ein weiterer Schritt nötig, der den Menschen auf eine neue Stufe des Bewusstseins heben sollte. Die Verlockung war die ‚Frucht vom Baum der Erkenntnis’ zu kosten. Im Klartext heißt das: Wissen wollen, verstehen können.

Ob es sich nun um ein göttliches Verbot handelte – oder schlicht um eine naturgegebene Unmöglichkeit – der Erfinder der Geschichte hat es offenbar bedauert, dass die menschliche Entwicklung diese Wende nahm. Und wer die heutige Welt, und die Folgen wissenschaftlicher Erkenntnis in Industrie und Technik vor Augen hat, mag dem biblischen Erzähler vielleicht Recht geben. Doch das ist eine Wahl, die wir nicht mehr haben, sie wurde getroffen und die Evolution hat den intelligenten Menschen hervorgebracht. Mit allen Vor – und Nachteilen, die das für die ganze Welt hatte.

Der Mensch verlor also jenen Zustand des Eingebundenseins in die Natur, den er zuvor hatte – dargestellt als Verlust des Paradieses, als Verlust der Unschuld. In der biblischen Geschichte wird dies als ‚göttliche Strafe’ dargestellt – mit der bekannten Ausschmückung. ‚Im Schweiß deines Angesichtes sollst Du Dein Brot essen!’ Das galt dem Mann. ‚unter Schmerzen sollst Du Dein Kind gebären!’ Das war der Frau bestimmt. Das heißt, das Leben verlor die Leichtigkeit, die Unbekümmertheit, die es im ‚paradiesischen Zustand’ noch hatte und die wir manchmal bei unseren Kindern noch bewundern können. Doch was bedeutet ‚Verlust der Unschuld’? Das berichtet die biblische Geschichte leider nicht.

Die natürliche Schuld kam auf, als wir lernten, Gewalt auszuüben. Unserem Bruder Gewalt anzutun. Insofern müssen wir die Geschichte von ‚Kain und Abel’ dazu nehmen, sonst verstehen wir den Sündenfall nicht. Der Mensch erwarb sich die Fähigkeit, ‚absichtsvoll zu töten’!

Das können wir heute noch – und wir tun es. Doch damit erzeugen wir unmittelbar und direkt einen Zustand der ‚Schuldhaftigkeit’, den jeder kennt, der durch Gewaltanwendung schuldig wurde. Dieser Zustand ist ein naturgegebener Ersatz für den fehlenden Instinkt, der uns davor bewahrt hätte zu morden. Tiere morden nicht – sie töten. Und sie tun dies im Einklang mit der Natur. Menschen können das nicht – sie morden, wenn sie töten. Weil wir nicht mehr in gleicher Weise wie die Tiere im Einklang mit der Natur leben können.

Anders ausgedrückt – wer Anderen Gewalt antut, gerät in einen Gefühlszustand der ‚Schuldhaftigkeit’. Das heißt so viel wie, er ‚hat sein Mitgefühl um anderer Ziele willen verwehrt’. Verschuldet. Er ist sich selbst etwas schuldig geblieben.

Die Folge ist ein Gefühl der Reue – das Mitgefühl holt ihn ein. Er bedauert seine Handlung und sucht unweigerlich nach der ‚verlorenen Unschuld’ – nach dem Urvertrauen, das er in sich und seine Handlungen hatte. Dieses Gefühl ist echt und darf nicht verleugnet werden. Sonst häuft sich möglicherweise Schuld auf Schuld – aber wieder nur in dem Maße, wie der Mensch weiterhin gewalttätig handelt. Bis er schließlich zur Einsicht kommt und sich selbst verzeiht. Das ist leicht, wenn er nicht durch seine religiösen oder moralischen Glaubenssätze daran gehindert wird. Diese Einsicht führt dazu, dass er künftig keine Gewalt mehr anwendet. Unter keinen Umständen, aus keinerlei Gründen. Punkt.
Im Gnadenzustand

Alles andere, das in unserer menschlichen Geschichte zum Thema ‚Schuld’ überkommen ist, ist künstlich – also von Menschen gemacht. Und keinesfalls göttlich, wie die Religion bekannter Prägung uns weismachen will.

Göttlich ist, was den Menschen erhebt, was ihn fördert und entwickelt.

Da haben solche Dinge wie Sünde, Sühne und Strafe oder ewige Verdammnis nichts zu suchen. Sie sind menschliche Erfindungen – weiter nichts. Mögen die Priester und Pfarrer erklären, warum sie daran festhalten und die Wahrheit verbergen, sie werden es wissen.

Wir sehen, so hoffe ich, dass wir mehr über Schuld und Schuldhaftigkeit wissen müssen, um die Trennung von natürlicher und künstlicher Schuld machen zu können. Die meisten Schuldgefühle, die wir haben, sind künstlich gemacht. Sie beruhen auf falschen Ansichten über Sünde und Strafe, Schuld und - Erlösung von der Schuld. Kinder, die diese Ansichten noch nicht assimiliert haben, könnten uns sehr wohl darüber belehren, was Schuld und was Unschuld ist. Ganz sicher hat es nichts mit Sexualität zu tun.

Dazu vielleicht noch ein Wort – denn die biblische Geschichte vom Sündenfall ist auch hier irreführend. Doch nicht einmal sie behauptet, der Mensch sei seiner ‚Sexualität’ wegen aus dem Paradies vertrieben worden. Wie also kommt es zu dem Missverständnis?

* Nun, erstens weist unsere biblische Geschichte dem Mann und der Frau unterschiedliche Rollen in der Evolution der (menschlichen) Intelligenz zu – die Frau übernimmt die Initiative, der Mann folgt ihr. Oder das Weibliche drängt zuerst in die Evolution des menschlichen Bewusstseins, nicht das Männliche. Ob dem so war? Wer weiß das schon. Der Erzähler jener ominösen Geschichte war so wenig dabei wie du und ich.
* Zweitens wird in der Geschichte vom Sündenfall etwas Richtiges beobachtet, wenn auch verzerrt dargestellt. Der ‚schuldhaft Gewordene’ verspürt zum ersten Mal ‚Schamgefühle’. Er schämt sich seiner gewalttätigen Handlung. Wie steht er da, vor sich selbst und der Welt? Eingebunden in eine wahrhaft göttliche Schöpfung erfährt er die Folgen seines Tuns. Scham und Reue gehören zusammen und ergeben sich aus dem – ich wiederhole – zeitweiligen Verlust der ‚Unschuld’. Das hat mit seiner Geschlechtlichkeit oder Geschlechterrolle nichts zu tun. Oder allenfalls damit, dass es zumeist Männer waren, die mordeten – einzeln oder in Verbänden. Wer sonst hätte die Kriege geführt, die wir noch heute mehr bewundern als bedauern?

Das ist gewiss ein schwieriges Thema, in das wir geraten, wenn wir unseren Schuldgefühlen nachspüren wollen. Oder gar auf den Grund gehen. Und wenn wir alle Gefühle, deren wir uns schämen, als Schuldgefühle interpretieren, dann geraten wir wirklich in eine ‚Hölle’ – und nicht im Jenseits, wie man uns auch schon glauben machte, sondern hier und jetzt.

Wir leben in einem Zustand der Harmonie und des Urvertrauens – jetzt. Wir brauchen uns dessen nur bewusst werden. Wir sind im ‚Zustand der Gnade’, wie man auch sagen könnte, wenn wir uns dessen selbst versichern. Dazu müssen wir allerdings alle falschen Gedanken ablegen, die uns daran hindern, das zu erkennen. Der Gnadenzustand ist uns garantiert – hier und jetzt. Und das war immer so. Er ist Teil der menschlichen Natur und kann nicht verloren gehen. Nur unser Bewusstsein davon. Das allerdings.
Blockierte Schuldgefühle lösen

Wer sich seiner verborgenen Schuldgefühle entledigen will – und Tumorpatienten sollten es aus zwingender Notwendigkeit tun – der mag damit beginnen, dass er sich fragt, beispielsweise:

* Was habe ich an mir auszusetzen?
* Was nehme ich mir übel?
* Was, glaube ich, ist an mir schlecht - oder gar ‚Böses in mir’?
* Was habe ich Anderen angetan – oder glaube es zumindest?
* Wo bin ich Anderen wirklich etwas schuldig geblieben?
* War ich zu anderen Menschen gewalttätig? Wie ist es geschehen?

Solche und ähnliche Fragen sollten aber immer zu gefühlsbetonten Erinnerungen führen. Es geht dabei nicht um Recht und Berechtigung oder Gerechtigkeit – das führt an der Problematik, die wir lösen wollen, vorbei.

Anders gesagt, wir müssen in dieser Phase der Selbsterforschung uns nicht rechtfertigen oder entschuldigen, sondern einfach zur Kenntnis nehmen, wann und wo wir Schuldgefühle in uns abgelagert haben. Ich darf euch versichern, dass sich jedes dieser Schuldgefühle auflöst, wenn wir es bei Licht betrachten. Es sind samt und sonders alte Gefühle – es sei denn, wir hätten sie nicht zur Kenntnis genommen und verweigern die Einsicht auch heute noch. Dann bleibt die ‚Schuld’ bestehen, bis wir die Lehre begriffen haben. Darum geht es – und nicht um Strafe, Vergebung oder Erlösung.

Eine andere Frage ist natürlich, wie wir mit der Schuld der Anderen umgehen. Ist uns selbst Gewalt widerfahren? Sind wir Anderen zum Opfer geworden? Auch das muss in uns aufgelöst werden. Wer sich über die Maßen und fortwährend als Opfer sieht, wer anderen als Opfern dient – er hat ganz sicher ein Problem mit der Opferrolle selbst. Und auch hier gibt es religiöse Bezüge, und gerade im Christentum, die wir erkennen sollten. Doch das führt wieder in einen großen Problemkreis, den ich hier nicht diskutieren möchte.

Es mag manchen Menschen helfen, wenn sie zur Vergebung ermuntert werden. Doch das ist wiederum kein göttliches Gebot, auch wenn sich das Christentum brüstet, die Nächstenliebe erfunden zu haben. Es ergibt sich aus einer naturgegebenen Notwendigkeit. Es hat mit der menschlichen Natur selbst zu tun. Allerdings eingebettet in den jeweiligen kulturellen Rahmen, in dem wir leben.

Wenn ich nicht vergebe, nähre ich in mir Gefühle von Hass und Rache. Und diese wiederum treiben, weil sie den Keim der Gewalt in sich tragen, neuerliche Schuld und Schuldgefühle vor sich her. Sie mögen unser Bedürfnis nach ‚Gerechtigkeit’ zeitweilig befriedigen. Doch Rache und Vergeltung sind fehlgeleitete Auffassungen von der Rolle des Menschen in dieser Welt – sie widersprechen seiner inneren Natur, um es so auszudrücken.

Oder anders gesagt, sie blockieren die Rückkehr in den Zustand der Unschuld, den wir als ‚paradiesisch’ empfinden und anstreben. Und jederzeit erreichen können, wenn wir uns darum bemühen, denn es ist einfach eine Frage des Bewusstwerdens oder Bewusstmachens- oder des Integriert seins.
Aggressive Gedanken

Doch was tun, wenn wir solche negativen Gedanken oder Gefühle in uns entdecken?

Wir können in uns immer wieder Gedanken wahrnehmen, die uns das Fürchten lehren. Gedanken, die uns zu Mord und Totschlag verleiten könnten, wenn die Situation nur schlimm genug ist. Gedanken, die bei anderen Unglücklichen dazu geführt haben, dass sie tatsächlich zum Mörder wurden. Solche Gedanken sind normal in einer Welt, die Mord und Totschlag im großen Maßstab betreibt – auf gesellschaftlicher Ebene, wenn es um die Macht geht. Vor allem um die Macht über andere Länder oder Staaten. Oder die Macht, sich ihrer Reichtümer zu bedienen, ohne dafür hinreichend zu bezahlen.

Ich will nicht auf die akuten Kriege dieser Zeit eingehen – sie flammen auf und erlöschen wieder, nur um anderswo erneut auszubrechen. Wir alle kennen die Krisenherde, die immer wieder die Welt erschüttern. Wir haben ein weltumspannendes Kommunikationsnetz geschaffen, das nichts mehr verborgen lässt. Nicht, wenn es um Konflikte von solchem Ausmaß geht, wie sie sich in Kriegen Luft machen.

Wie gesagt, wir leben in einer Welt, die sich zwar um Frieden bemüht, aber dennoch nicht bereit ist, dem Krieg gänzlich abzuschwören. Und was ist Krieg anderes als ein gesellschaftlich toleriertes massenweises Töten? Wie sollten wir da persönlich völlig frei von allen gewalttätigen Gedanken sein, eingebunden, wie wir nun einmal sind in unsere menschlichen gesellschaftlichen Bezüge, und abhängig davon?

Für viele Menschen scheint eine Lösung dieses Dilemmas darin zu liegen, dass sie aggressive Bestrebungen, falls sie in ihnen aufkommen, ersatzweise gegen sich selbst richten – damit sie sich nicht an anderen entzünden oder gar entladen. Das geschieht recht häufig, und die Folgen erleben wir in einer körperlichen Symptomatik, die Medizinern sehr wohl bekannt ist – dazu gehören alle Krankheitsformen, die man heute als ‚autoaggressiv’ erkannt hat. Und wahrscheinlich noch weitere, wo wir diese Zusammenhänge noch nicht entdeckt haben. Vermutlich haben viele der verbreiteten Allergie-Erkrankungen damit zu tun. Oder andere Krankheiten, die wir unmittelbar mit einer ‚Schwächung des Immunsystems’ verbinden. Auch das ist ein weites Feld, das noch mehr erforscht werden muss, und zwar im Zusammenhang mit der Aggression selbst und der Frage, wie der Einzelne damit umgeht.

Wer einen übersteigerten Anspruch an sein ‚Gut sein’ hat, kann aggressive Gedanken, die sich gegen Andere richten, unerträglich finden. Das tut er besonders dann, wenn ihm eingeredet wurde, dass in jedem Menschen ein ‚Böses’ schlummere, das ständig auf der Lauer liege um ihn zu verderben. In diese Reihe gehört bei vielen Menschen sogar der Wunsch zu sterben, den wir als ganz natürlich bezeichnen können, und vor allem dann, wenn er nach einem erfüllten Leben auftaucht. Ganz sicher gehören alle heimlichen Gedanken an ‚Selbstmord’ – besser ‚Selbsttötung’ – dazu. Da möge sich jeder prüfen, ob er solche Gedanken in sich aufkommen lassen könnte – selbstverständlich ohne den Versuch, es zu tun. Oder würden wir solche Gedanken im Keim ersticken wollen? Und warum?

Es kann uns vielleicht helfen, wenn wir solche negativen Gedanken nicht grundsätzlich verdammen, sondern sie als natürliche Folge einer schwierigen Zeit ansehen – und dann nicht weiter beachten. Also weder fördern noch unterdrücken – einfach nicht weiter beachten. Dann verflüchtigen sie sich, ohne Schaden anzurichten.

Wer an das ‚Böse in sich’ glaubt oder sich davon nicht frei machen kann, könnte leicht aggressive Gedanken und Gefühle als ‚Anfechtung’ seines hehren Glaubens ansehen. Zumindest aber als ein ‚unwürdiges Eindringen’ von Mächten, die er aufs Strengste bekämpfen muss.

Diese Art von Aberglauben war früher nicht nur weit verbreitet, sie entsprach geradezu der vorherrschenden Moral in christlichen Landen. Zwar haben wir auch gelernt, dass Sündigen nur in Worten und Werken geschehen kann – schlimm genug! – aber wer sagt uns, wer versichert uns, dass nicht unsere ‚bösen Gedanken’ bereits verdammungswürdig sind? Zumal wenn man heute hört, dass auch schon Gedanken in der Lage sind, Wirkungen hervor zu rufen, insbesondere, wenn wir sie gegen andere Menschen richten. Solche Ansichten sind gefährlich, wenn wir nicht darauf achten, dass sie in ein rechtes Verhältnis zu den wirklichen Taten und Handlungen stehen. Prinzipiell mögen sie richtig sein, doch im Effekt, sind sie - bei allem, was uns heute bewegt – vernachlässigbar, unwichtig, nicht von Bedeutung.
Aggression und Schuld

Daher sage ich, weg damit! Weg mit solchen destruktiven Ansichten und Glaubenssätzen, sie beeinträchtigen unsere ‚innere Verfassung’ – und wirken sich nachteilig auf unsere Gesundheit aus.

Das Problem dabei ist, dass selbst in unserer aufgeklärten Zeit solche ‚tiefgründigen Reflexe’ noch wirksam sein können – können, aber es nicht müssen. Und wo das geschieht, kann es zu einer unheilvollen Verkettung von ‚Aggression und Schuld’ kommen. Aggressive Gedanken oder Gefühle werden missverstanden und im Sinne einer missverstandenen, unheilvollen Moral interpretiert – und die Schuldgefühle folgen ihnen wie ein Schatten.

Das wiederum gibt einen Reflexbogen, der oft schon in der Kindheit entsteht und später in ‚Vergessenheit’ gerät – dann erzeugen aggressive Gedanken und Gefühle automatisch Schuldgefühle. Schuldgefühle vor allem dann, wenn sich die aggressiven Tendenzen gegen die eigenen Eltern – Vater oder Mutter – richten, die wir bekanntlich ‚uneingeschränkt’ ehren sollen – wie uns das Vierte Gebot lehrte (und es leider immer noch tut!). Wobei wir längst vergessen haben, was mit ‚ehren’ gemeint war. Begriffe wie Ehre und ehren spielen heute nicht mehr die bedeutsame Rolle, die ihnen früher zukam, und das aus gutem Grund. Wir sind heute nicht mehr ohne weiteres bereit, für die ‚Ehre des Vaterlandes’ unser Leben auf dem ‚Feld der Ehre’ – wie das Schlachtfeld auch genannt wurde – hinzugeben.

Es ist also nicht so einfach mit den Zehn Geboten und mir hat noch kein Theologe einleuchtend erklären können, warum wir im zweiten nachchristlichen Jahrtausend noch immer die Gebote der alten Israeliten lernen und – schlimmer noch – befolgen sollen. Von diesen Geboten kann ich nur eines als zeitlos gültig und auch für uns heute noch verbindlich betrachten: das fünfte Gebot, das unzweideutig sagt: Du sollst nicht töten!

Da aber die wenigsten von uns mit diesem Gebot in Konflikt geraten sind oder solches befürchten müssen, und ich auch niemals einen Krebspatienten getroffen habe, der dieses Problem gehabt hätte, können wir uns wieder den eigentlichen Ursachen der Krebsgeschichte zuwenden und fragen: Wessen könnte ich mich schuldig fühlen? Und noch genauer: Welche Schuldgefühle werden in mir ausgelöst, wenn ich merke, dass ich aggressiv werde – oder feststelle, dass ich es gewesen bin?

Es gibt keine Gewähr dafür, dass wir bei solchem Forschen fündig werden. Warum sollten wir auch? Wer sagt uns, dass wir Schuldgefühle haben müssen? Oder dass wir unter dem Begriff ‚Schuldgefühl’ alle dasselbe verstehen? Oder dass wir überhaupt wissen, wie sich ‚Schuldgefühle’ anfühlen? Ich wäre da nicht so sicher. Und zudem könntet ihr mit Recht fragen, ob es denn gut tut, in seiner persönlichen Geschichte so genau nach verkramten Schuldgefühlen zu suchen. Und dabei womöglich ‚Schuldgefühle’ im Nachhinein dort künstlich zu schaffen – wo sie ursprünglich gar nicht vorhanden waren. Auch das ist richtig.

Ich kann also nur wiederholen, dass es keine allgemeine Lösung für das Krebsproblem gibt. Es gibt noch nicht einmal sichere Wege, die zu einer Lösung führen könnten. Daher will ich nur Fingerzeige und Hinweise geben, die uns zu einem tieferen Verständnis der Krankheit abseits von Medizin und Psychologie führen können – also zu einem unverfälschten ‚eigenen Verstehen’. Dem Verstehen von sich selbst. Ohne Regel und Gebot, dem wir uns unterwerfen müssten. Sei es nun religiös oder wissenschaftlich gemeint.
Auswege aus der Schuld

Wir wollen einen versöhnlichen Schluss für heute finden, damit uns das Thema ‚Schuld und Sünde’ nicht in Beschlag nimmt. Damit wir wieder auf Distanz gehen können.

Abseits aller psychologischen Ratschläge kann ich mich hier einer urchristlichen Weisheit bedienen, die für mich noch immer so gültig ist wie damals, als sie uns von ‚Jesus dem Christus’ angeboten wurde. In meinen Worten ausgedrückt, heißt sie: Liebe löst alle Schuld auf. Schuld gegenüber Menschen ebenso wie Schuld gegenüber ‚Dem Vater’ oder Gott, wenn ihr an diesen glaubt. Doch diese Weisheit kann nicht gelernt, sie kann nur erworben werden. Vielleicht wird sie uns auch geschenkt, wenn wir bereit dafür sind.

Wenn wir ‚in der Liebe’ sind, gibt es keine Schuld, keine Sünde, keine Erlösung, keine Verdammnis. Wenn wir nicht in der Liebe sind, ist all das möglich - und noch mehr.

Wir könnten uns dazu versteigen, darüber nachzudenken, wie man richtig lieben soll. Daher ist selbst das christliche Gebot der Nächstenliebe durchaus fragwürdig. Wer liebt, fragt nicht. Wer liebt, braucht kein Gebot.

Und wenn wir nicht lieben? Wie können wir es dann lernen?

Nun, das Leben belehrt uns ständig darüber, wir brauchen die Lehre nur zu begreifen. Und selbst wenn wir sie nicht jetzt begreifen - wir werden eines Tages gelernt haben zu lieben. Wir alle und die Menschheit als Ganzes. Das ist wohl damit gemeint, wenn Jesus von Nazareth vom Reich Gottes sprach. Ganz einfach – in der Liebe sein.

Soviel für heute.


Krebs VII

7. Vortrag zum Krebsproblem vom 23. Oktober 2004





Entwicklungskrisen richtig verstehen


Entwicklung auch im Großen


Wir dürfen Fehler machen


Frei zu entscheiden


Bescheiden bleiben


Eigenwillig – oder?


Entwicklung und Stabilität


Wir brauchen Beständigkeit


Was wir glauben


Selbstwert-Vernichter


Liebe ist Alles


Entwicklungskrisen richtig verstehen

Wir sind nun am Ende dieser Vortragsfolge zum Thema Krebs angelangt. Wie sollen wir am besten die verbleibende Zeit nützen? Ich sagte bereits, dass wir manche Themenbereiche nicht angesprochen haben, die im Zusammenhang mit der Krebsproblematik immer wieder auftauchen. Beispielsweise müsste man eingehender erläutern, was ich mit den häufig zitierten ‚Glaubenssätzen’ meine. Man müsste ausführlicher darüber reden, wie unser Gesundheitssystem mit seinen bürokratischen Regelungen immer noch das ‚Selbstbestimmungsrecht’ des Einzelnen beschneidet, wenn es um seine Gesundheit geht.

Man könnte auch darüber sprechen, in welcher Zwangslage Ärzte oft sind, wenn sie zwischen medizinischen, juristischen und wirtschaftlichen Erwägungen in Konflikt geraten. Patienten können in der Regel nicht einschätzen, nach welchen Gesichtspunkten ein Arzt sich für die eine oder andere Maßnahme entscheidet, und sie nehmen zu ihren Gunsten an, es geschehe immer zu ihrem Besten. Ich hoffe für sie, dass sie durch die Wirklichkeit nicht eines anderen belehrt werden.

Man könnte noch über weitere Mängel in unserem Gesundheitswesen sprechen, die gerade auch Krebspatienten immer wieder deprimieren – doch das ist nicht meine Aufgabe.

Stattdessen wollen wir wichtige Punkte noch einmal wiederholen oder neu durchdenken, die in den vergangenen Vorträgen vorrangig besprochen worden sind. Damit möchte ich nun beginnen.

Ich denke, es ist inzwischen deutlich geworden, dass wir unter dem Krebsproblem eine geistige Auseinandersetzung mit Themen verstehen wollen, die der medizinischen Auffassung von Krebs nicht nur widerspricht, sondern sie in wesentlichen Punkten korrigieren will. Ich bin nach jahrelanger Arbeit mit 'Krebspatienten' zu der Überzeugung gelangt, dass diese unsere medizinische Wissenschaft nicht in der Lage, ist das Krebsproblem ursächlich zu behandeln. Vielmehr glaube ich, dass dazu eine individuelle Mitarbeit des Betroffenen unbedingt erforderlich ist, und mehr als dies heute üblicherweise geschieht oder geschehen kann.

Ebenso wichtig, um nicht zusagen entscheidend, wird sein, dass er, der Betroffene, bei dieser Arbeit an seinem ureigenen Krebsproblem die richtige Hilfe und Stärkung von außen erfährt. Nach allem, was wir bisher angesprochen und behandelt haben, dürfte klar geworden sein, dass diese Hilfe nicht in der Gabe von Medikamenten bestehen kann. Andererseits bin ich mir bewusst, dass viele Menschen in dieser unserer Gesellschaft an die Wirksamkeit von medizinischen Maßnahmen glauben und sich gerne von ihnen abhängig machen. Das erschwert eine unkomplizierte Behandlung des Krebsproblems im täglichen Leben. Darauf will ich später noch einmal zurückkommen.

Wir haben also gesehen wie wichtig es ist, sich der komplexen Situation bewusst zu werden, in die sich ein Mensch gestellt sieht, wenn er die Mitteilung erhält, es gehe bei seiner Krankheit um Krebs, es gehe um einen 'bösartigen Tumor'. Wir haben gesehen, dass diese Mitteilung ihn in einer ungeheuren Weise belastet und sein Selbstverständnis erschüttert. Zu sagen, er gerate in eine Identitätskrise, ist eine milde Untertreibung.

Wir wollen also davon ausgehen, dass ein Mensch sich so oder so in eine Krisensituation hinein bewegt und sich dieser Krise spätestens durch jene Mitteilung, die wir Krebsdiagnose nennen, bewusst wird.

Daher möchte ich kurz auf ein Thema zu sprechen kommen, das sich allgemein mit Krisen und ihren Begleiterscheinungen befasst. Dabei wollen wir nicht zögern, auch jene Krisen anzusprechen, die jedem geläufig sind und die wir nicht als Krankheit einstufen – es zum Glück nicht tun. Als Beispiele möchte ich die Pubertätskrise und die Krise der Wechseljahre herausgreifen und in unseren Zusammenhang stellen.

Es dürfte allgemein bekannt sein, dass beispielsweise die Pubertät nicht nur die körperliche Erscheinungsform von jungen Menschen verändert, sondern weit mehr ihr Seelenleben, ja, sogar ihre geistige Verfassung ändern kann. Und nicht nur kann, sondern es sogar soll, damit das ältere Kind nun zum Jugendlichen und schließlich Erwachsenen heran reifen kann.

Wir wollen es uns hier einfach machen, damit wir nicht wertvolle Zeit verlieren, die wir heute noch unserem eigentlichen Problem widmen wollen. Jeder von uns hat die Pubertätskrise überstanden, manche von uns haben auch die Krise der Wechseljahre hinter sich gebracht, manche sind noch damit befasst und andere haben sie noch vor sich.

Auch junge Menschen wissen bereits, dass sie eines Tages diese Krisen bewältigen müssen. Könnte es nicht sein, dass die Krebs Krise eine ähnliche Bedeutung in unserem Leben hat und uns daher gemahnt, an Krisen zu denken, wenn wir es mit dem Krebsproblem zu tun haben?

Ich jedenfalls vertrete die Auffassung, dass es sich bei der Krebskrankheit ursprünglich um eine hinausgezögerte, vielleicht sogar vollständig blockierte Entwicklungskrise handelt, die durchaus jenen Krisen gleichzusetzen ist, über die wir vorhin gesprochen haben - also der Pubertät und den Wechseljahren.

Nehmen wir einmal an, es handle sich wirklich beim Krebs um eine Entwicklungskrise von solchen Ausmaßen, allerdings in einer Form, über die wir noch wenig wissen. Würden wir dann nicht unsicher werden, vielleicht sogar verwirrt und ratlos, wenn sich eine solche Krise angebahnt und wir keine gedankliche oder begriffliche Vorstellung davon haben? Würde nicht jeder normale Mensch sich heftig dagegen wehren und versuchen, sein Leben in der gewohnten Weise fortzuführen? Und beobachten wir nicht sogar bei Kindern in der Pubertät manchmal und sicher bei Erwachsenen in den Wechseljahre, dass sich manche nicht damit abfinden wollen, dass eine Lebensphase, die ihnen vertraut war, zu Ende geht - und eine neue Lebensphase beginnt, von der sie noch nichts wissen, die ihnen aber jetzt schon Angst macht?

Solches anzunehmen überfordert keinesfalls den gesunden Menschenverstand, zumal wenn wir daran denken, dass solche Krisen - wie beispielsweise die bekannt gewordene "Midlife Krise’ (gemeint ist ‚Krise in der Mitte des Lebens’) - sich nicht immer in den äußeren Umständen ankündigen und damit leicht erkennbar werden, sondern weit eher zunächst Gemütszustände hervorbringen, die uns zu diesem Zeitpunkt wenig angenehm und selten willkommen sind.
Entwicklung auch im Großen

Solche Entwicklungskrisen sind nicht vorhersehbar. Zumindest nicht Krisen, wie wir sie im Zusammenhang mit dem Krebsproblem antreffen. Das mag uns befremdenden, und doch lehrt uns die Erfahrung, dass wir ganz offensichtlich solche Krisen nicht oder allenfalls nur in einzelnen Fällen wahrnehmen. Dabei ist es unerheblich, ob wir dies wollen oder uns dagegen wehren. Nach meiner Erfahrung werden wir allemal von solchen Krisen, die ich hier ansprechen will, überrumpelt und nicht selten auch überfordert.

Damit will ich sagen, dass der Betroffene nicht schuld ist, wenn ihm eine solche Entwicklungskrise begegnet und er sie, zunächst zumindest, nicht bewusst bemerkt. Es würde ein gänzlich anderes Bewusstsein, ein ‚Gewahrsein seiner selbst’, erfordern, wollte er rechtzeitig oder gar im Voraus erkennen, was da auf ihn zukommt. Solche Ereignisse, wie sie uns in Krisen als Schicksalsschläge treffen, sind nun einmal außerhalb der Reichweite unserer menschlichen Existenz, wenn man die Hintergründe kennt.

Damit will ich sagen, dass ich nicht daran glaube, wir könnten in absehbarer Zeit etwas daran ändern, dass wir Schicksale als ein von oben geschicktes Machwerk betrachten oder gelernt haben, es so zusehen. Das galt wohl für die vergangenen Zeiten ebenso wie für unsere gegenwärtige Zeit.

Wir sind also nicht nur durch den Mangel an Begrifflichkeit, durch den Mangel an Erkenntnissen daran gehindert, alle jene Einflüsse und Zeitströmungen zu erkennen, die in unserer Welt ihre Spuren hinterlassen. Ich kann nur andeuten, was ich selbst nur ahne und doch nicht zu fassen vermag. Mir scheint, dass Welten und Welten in ungekanntem Ausmaß ineinander verwoben sind, sich gegenseitig stören und ergänzen, befruchteten und behindern.

Das mag manche jener schicksalhaften Zeitläufte oder auch gewaltigen Katastrophen erklären, die wir aus unserem menschlichen Denken und Bewusstmachen heraus nicht verstehen können. Damit meine ich beispielsweise jene unseligen Ereignisse, die wir in den beiden Weltkriegen des vergangenen Jahrhunderts gerade in unserem Raum erleben mussten.

Wir sind also gewissermaßen auch einem " göttlichen Unvermögen " zum Opfer geworden, das nicht verhindern konnte, dass jene unseligen Katastrophen eingetreten sind, die eine ganze Welt in Leid und Elend gestürzt haben.

Es erscheint mir wichtig, zumindest in Andeutungen auf solche möglichen Zusammenhänge hinzuweisen, damit wir nicht aus menschlicher Kurzsichtigkeit oder Selbstüberschätzung heraus glauben könnten, es bleibe uns völlig erspart, das menschliche Leiden, wie es auch und besonders in der Krebserkrankung zu Tage tritt, zu erdulden und zu ertragen.

Es ist weder menschliches Versagen noch wissenschaftliche Unzulänglichkeit, die uns bisher daran gehindert haben, diese schwere, leidvolle Krankheit erfolgreich zu bekämpfen oder sie gar auszurotten. Das mag für einige Zeit noch so bleiben, und dennoch bin ich guter Hoffnung, dass sich für kommende Generationen auch dieses Problem lösen lässt.

Mit dieser kurzen Einfügung wollte ich darauf hinweisen, mehr noch, unser Augenmerk dahin drängen, dass wir Entwicklungskrisen, die wir persönlich erleben und immer wieder erleben müssen, nur bedingt verstehen können, weil auch sie sich in einem großen Weltgefüge abspielen. Das gilt für jeden Einzelnen ebenso wie für ganze Bevölkerungsgruppen, für Völker und Erdteile, ja, für die ganze Menschheit.
Wir dürfen Fehler machen

Ich fühle mich aber auch gedrängt, uns immer wieder daran zu erinnern, dass wir unsere persönlichen Schicksale auch selbst gestalten können, wenn wir daran glauben. Es ist uns unbenommen, in jedem Augenblick, in jeder Stunde unseres Lebens immer wieder zu versuchen, unserem persönlichen Schicksal eine eigene Wende zu geben, die uns mehr behagt, mehr Glück und Befriedigung bringt und unser Leben im Ganzen reicher macht.

Es ist der wahrhaft göttliche Funke in uns, den wir als 'schöpferische Impulse' kennen gelernt haben, der uns dazu befähigt. Daher komme ich immer wieder zurück zu meiner Aussage, wir sollten unseren schöpferischen Impulsen folgen und dies auch dann, wenn wir zunächst nicht erkennen können, wohin sie uns führen möchten.

Wir sind also gehalten, und dies nicht durch göttliche Gebote sondern durch unsere innewohnende göttliche Natur, unser Leben selbst in die Hand zu nehmen und immer wieder zu versuchen, das Menschenmögliche zu tun und über das dem Menschen Mögliche hinaus Glück und Zufriedenheit anzustreben und unter uns zu verbreiten.

Das schließt nicht aus, dass wir dabei immer wieder Fehler machen. Wir können nicht eine 'göttliche Weltsicht' entwickeln, solange wir als Mensch auf dieser Erde leben. Es wird also unser Ziel als Mensch auf dieser Erde bleiben, menschlich zu sein und Menschlichkeit im höchsten uns erreichbaren Maße zu leben. Auch dies ist kein Widerspruch, es sei denn, wir machen ihn dazu.

Menschsein heißt also, Schwächen haben zu dürfen, Schwächen zeigen zu dürfen, und die Fähigkeit zu entwickeln, zu seinen eigenen Schwächen zu stehen. Das scheint mir ein wichtiger Rat für alle, die versuchen, über menschliche Maße hinaus ‚gut zu sein’ und dabei das rechte Augenmaß verlieren.

Das bedeutet nun nicht, dass der Mensch von Natur aus schlecht sei, bedeutet keinesfalls, dass er von Natur aus böse sei. Es bedeutet lediglich, wie ich es auch schon formuliert habe, dass der Mensch sich 'auf dem Weg' befindet, diese seine Menschlichkeit zu entwickeln und dabei alle jene Zustände auch erfährt oder gar erfahren muss - ob er es will, ist eine andere Frage - die ihm praktisch als Kontrastprogramm zeigen, was Menschlichkeit im Negativen auch sein kann. Was wir als Mensch auch sein können, wenn wir allen unseren Bestrebungen folgen und das Wohl des Ganzen außer Acht lassen. Oder umgekehrt, wenn wir nur das Wohl das Ganzen im Auge haben und das Wohl des Einzelnen gering schätzen. Diese beiden extremen Beispiele sind uns aus unserer eigenen Geschichte bekannt, und wir sollten sie nicht vergessen.

Wir dürfen also als Mensch lavieren und unseren Weg zwischen Extremzuständen suchen, ganz wie es uns passend zu sein dünkt. Das entspricht, soweit ich sehen kann, der Grundstruktur dieser Welt, die sich auf Freiheit gründet. Und Freiheit, so haben wir gesagt, schließt auch die Freiheit ein, das zu tun, was uns im Innersten widerstrebt. Denn dass wir im innersten Kern unseres Wesens nicht nach Gewalt trachten, nicht nach uneingeschränkter Macht trachten und nicht danach trachten, anderen Menschen zu schaden oder sie gar zu vernichten - davon bin ich fest überzeugt.
Frei zu entscheiden

Wir können also nicht anders als uns immer wieder darauf zu besinnen, dass wir als Mensch fehlbar sind und uns auf dem Weg befinden, dass sich jeder auf seinem eigenen Weg immer wieder zurechtfinden muss. Das gilt für jedes Menschen Leben, das gilt für uns alle und es gilt auch für den Krebskranken.

Daher halte ich es für dringend erforderlich, dem Krebskranken soviel Freiheit wie möglich einzuräumen, wenn es darum geht, für den Kranken die am besten geeignete Heilmethode zu suchen. Wenn es für ihn darum geht, sich jenen Menschen anzuschließen, von denen er sich am ehesten Heilung verspricht. Ich habe den Eindruck, dass wir in unserem Gesundheitswesen hier noch zu viel und zu sehr reglementieren, beschränken, vorgeben und dem Einzelnen aufoktroyieren, und das ist sicherlich verbesserungswürdig.

Andererseits glaube ich, dass diese negativen Seiten unseres Gesundheitswesens erkannt und bald korrigiert werden. Daher will ich mich nicht mit Klagen über diese oder jene Missstände aufhalten, sondern den Einzelnen auffordern, so gut es ihm möglich ist oder möglich erscheint, seinen eigenen Weg zur Heilung zu suchen. Und dabei zu entdecken, dass es weit mehr Möglichkeiten gibt, als ihm zu einer Zeit erkenntlich sind.

Krebskranke haben ein Problem in sich, das andere Menschen, gesunde oder kranke, nicht erkennen können und es wohl auch nicht sollen. Das betrifft auch die Ärzte, die zum Helfen und Heilen aufgerufen und befugt sind. Es ist die Besonderheit dieser Welt, dass wir das Krebsproblem erst dann erkennen, wenn es in uns selbst auftaucht - und auch dann nur in geringem Maße bewusst erfahren, was es uns an Lehren bringt.

Das sage ich absichtlich, damit kein Krebspatient, und schon gar kein Gesunder, auf den Gedanken kommt, der Krebspatient sei der Dumme, der sich nicht rechtzeitig vorgesehen hat und die Krankheit hätte vermeiden können.
Bescheiden bleiben

Schicksalhafte Ereignisse von dem Ausmaß, wie sie der Krebskrankheit zugrunde liegen, sind nicht vorhersehbar. So habe ich eingangs argumentiert. Wir sollten also unter allen Umständen vermeiden, uns dem Krebskranken gegenüber überheblich oder besserwisserisch zu geben - oder auch nur zu fühlen. Wir, die wir nicht unter der Krankheit leiden, haben keine Ahnung, worum es dem Betroffenen wirklich geht.

Wir können und sollen nur sein hilfreicher Begleiter sein, der in aller Bescheidenheit und doch mit vollem Herzen sich anbietet, die menschliche Hilfe zu leisten, zu der er sich im Stande fühlt. Mehr ist nicht erforderlich und weniger ist nicht erwünscht. Es geht also gerade beim Krebsproblem darum, nicht den überlegenen Arzt, nicht den wohl informierten Wissenschaftler, nicht den herausragenden Heiler zu finden und dem Patienten zur Seite zustellen.

Im Gegenteil, wir müssen lernen, andere Maßstäbe anzulegen, wenn es um die Therapie von Krebskranken geht. Jeder, der sich auf ein solches Unterfangen einlässt, sollte sich vergewissern, ob er in sich die Kraft und Fähigkeit spürt, sein ganzes Herz, all seine Energien und seine Zeit hineinzulegen. Oder ob es ihm mehr oder weniger zur lästigen Routinearbeit wird. Es ist keine Schande, vor sich selbst zuzugeben, dass man sich dem Krebsproblem als Therapeut nicht oder nicht mehr gewachsen fühlt. Es ist besser, sich diese Fragen ehrlich zu beantworten und nicht sein Gewissen mit beschönigenden Fehleinschätzungen eigener Fähigkeiten zu belasten.

Andererseits sind wir in eine Welt eingebunden, die uns in dieser Hinsicht nicht viel Spielraum lässt. Patienten brauchen einen Arzt, und unsere Gesellschaft sorgt dafür, dass wir Ärzte in ausreichendem Maße ausbilden, um jedem Patienten eine medizinische Versorgung, wie es heißt, zukommen zu lassen, wie es im Rahmen unserer heutigen Weltsicht möglich ist. Das ist im gesellschaftlichen Kontext eine unleugbare Tatsache. Doch auch diese Tatsache enthebt uns nicht einer persönlichen Entscheidung, wenn es darum geht, in unserer Berufswahl den richtigen Weg, und das heißt, den eigenen Weg zu finden - seien wir nun Arzt oder Psychotherapeut.
Eigenwillig – oder?

Wir alle sind in ein gesellschaftliches Umfeld geboren – wir haben in der Regel eine eigene Familie, haben Verwandte und Freunde, Kollegen und Bekannte. Man könnte sagen, wir haben einen unmittelbaren Einflussbereich. Das bedeutet, dass wir auf andere Menschen Einfluss nehmen und umgekehrt – Andere beeinflussen unser Denken, Handeln und Fühlen.

In unserer modernen Zivilisation kommt durch die Massenmedien ein mittelbarer Einflussbereich hinzu, der möglicherweise noch schwerer wiegt. Wir bilden uns eine eigene Meinung wohl eher aus dem Informationsangebot von TV-Sendungen und Zeitschriften, Büchern und neuerdings auch Internet, als durch persönliche Gespräche. Wer könnte von sich sagen, er würde dadurch nicht in seiner Meinungsbildung beeinflusst?

Dennoch sind wir grundsätzlich ein Individuum – und das heißt, ein unverwechselbarer und unvergleichlicher Teil des Ganzen. Unsere Meinung ist unsere eigene Meinung, auch wenn sie von Anderen geprägt sein mag. Und unsere Erfahrungen sind unsere eigenen Erfahrungen und durch nichts zu ersetzen, was andere erlebt und erfahren haben. Unsere Vorstellungen, Ziele und Pläne sind unsere eigenen Machwerke, auch wenn sie sich an Anderen orientieren oder uns von anderen aufgezwungen wurden. Unsere Hoffnungen, Wünsche und Bestrebungen sind uns ganz zu Eigen, auch wenn wir auf die Mitwirkung von Anderen angewiesen sind, wenn wir sie verwirklichen wollen. Kurz gesagt, jeder Mensch hat seinen eigenen Willen, und er hat ihn von Grund auf.

Eine andere Sache ist allerdings, wie viel Freiheit ihm gewährt wird, diesen seinen Willen zur Geltung zu bringen. Und wie viel Kraft und Stärke man aufbringt, seinen Willen gegen Widerstände durchzusetzen. Und wie viel Klugheit man besitzt, nicht ‚mit dem Kopf durch die Wand’ zu wollen.

Freier Wille wiederum schließt ein und setzt voraus, dass wir uns relativ unbedrängt zwischen Möglichkeiten entscheiden können. Freier Wille und Entscheidungsfreiheit sind also untrennbar verbunden. Praktisch bedeutet dies jedoch, dass wir diese Möglichkeiten in dem Moment erkennen, wenn eine Entscheidung ansteht – und das kann problematisch werden.

Noch praktischer ist es anzunehmen, dass es mehr Möglichkeiten gibt als mir zu einer Zeit bewusst werden kann. Mit dieser praktischen Annahme kann man verhindern, dass man allzu leicht in Zwangslagen gerät. Besonders praktisch sind solche ‚Denkstützen’, wenn wir in einer Krise ‚stecken’ – damit wir nicht stecken bleiben!
Entwicklung und Stabilität

Wir können sinnigerweise nicht über Freiheit sprechen, wenn wir nicht auch über Bindungen und Abhängigkeiten sprechen. Wir alle sind, und jeder auf seine Weise, in diese Welt eingebunden. Wir sind es von Geburt an. Ja, wir waren es schon vor der Geburt, waren es seit dem Moment unserer Zeugung. Wir sind als Teil eines Körpers entstanden und herangewachsen, aufs engste verbunden mit dem Körper der Mutter, die uns alles gab, was wir zu unserem Wachsen und Gedeihen gebraucht haben.

Die Freiheit, die wir meinen, kam erst später, und wir alle mussten lernen, den rechten Gebrauch davon zu machen. Mit jedem Schritt in die Welt haben wir uns aus der Abhängigkeit der Mutter gelöst – und sind in neue Abhängigkeiten hineingewachsen. Sei es im Kindergarten, in der Schule oder im Beruf – wir haben eine ‚freie’ Wahl getroffen, so hoffe ich wenigstens für euch, und sind von neuem eingebunden worden in Abhängigkeiten, die immer in beide Richtungen wirken. Das ist wichtig zu verstehen. Wer Haustiere hat, wird sofort verstehen, was ich meine. Wer Kinder aufgezogen hat, versteht es auch.

Wir haben in neuerer Zeit gehört, dass wir mobiler werden müssen, flexibler werden sollen, wenn wir den Anforderungen eines ‚modernen Lebens’ gerecht werden wollen. Das ist richtig, denn unsere Zivilisation wandelt sich in rascher Folge von Abschnitten, die kaum längere Zeit Bestand haben. Kaum sind wir ins Atomzeitalter eingetreten, sind wir schon wieder mit anderen ‚Fortschritten’ befasst: wir schreiten fort ins Informationszeitalter, das Atomzeitalter liegt fast schon hinter uns. Oder ist es ein Kommunikationszeitalter? Die Zeitalter dauern anscheinend nicht mehr lange.

Anders gesagt, eine Entwicklungskrise jagt die nächste, und die Menschheit kommt kaum noch zu Atem. ‚Atemlos’ ist ein gutes Wort, wenn man unsere westliche Zivilisation charakterisieren will.
Wir brauchen Beständigkeit

Dem rasenden Fortschritt entgegen stemmt sich eine Kraft in uns, die wir den Drang zur Beständigkeit, zum Bleiben, zum Ruhen, zum Atem holen nennen könnten. Eine konservierende Tendenz, die sich am Alten festhält und das neue in Frage stellt. Diese Tendenz ist wertvoll. Mehr noch, Beständigkeit und Beharrlichkeit sind ebenso wichtig wie Fortschritt und Innovation. Denn erst in ihrem Wechselspiel ergeben sich gesunde Entwicklungen, die Stabilität bewahren und Chaos vermeiden. Dieses Wechselspiel von fortschrittlichen und konservativen Kräften können wir in der Politik gut beobachten.

Entwicklung und Stabilität sind also untrennbare Geschwister, wir brauchen sie beide. Gewinnt eine dieser Tendenzen über lange Zeit die Vorherrschaft, und über eine verträgliches Maß hinaus, kommt es – zur Revolution. Dann hat die konservierende Tendenz die Entwicklung blockiert. Oder es kommt zu chaotischen Auswüchsen, die die Stabilität des Staates – oder des Einzelnen – gefährden. Wie beispielsweise bei der Krebserkrankung.

Wir dürfen also vermuten, dass Krebskranke im Hinblick auf ihre Bereitschaft zur Veränderung eine beharrende Trägheit aufweisen. Warum sie das tun, kann ganz unterschiedliche Gründe haben – und nur sie selbst können diese herausfinden.

Wenn unser Leben in eine Entwicklungsstufe läuft, brauchen wir eine gewisse Flexibilität, die unser ‚gewohntes Leben’ in Frage stellt. Das erleben wir beispielsweise bei Ehekrisen, die wir wohl alle kennen, bei uns selbst oder in unserer Umgebung. Krisen deuten auf einen inneren Drang zur Veränderung hin – das beste Beispiel ist mir noch immer die Pubertät, denn hier ist es offensichtlich. Und nicht nur die ‚heranreifenden’ Kinder haben Probleme zu bewältigen, auch die Eltern und Erzieher. Ihr gewohntes ‚Bild vom Kind’ kommt rascher ins Wanken, als ihnen lieb ist. So sind beide Seiten gefordert, das Problem der Krise zu bewältigen. Mit welchem Ergebnis, mag jeder an seiner eigenen Geschichte überprüfen.

Wenig anders verläuft es bei der Krebskrise. Auch hier ist die Umgebung – sei es in der Familie oder im Beruf – gefordert, die Problematik einer fortschreitenden Persönlichkeitsentwicklung zu bewältigen. Und nicht selten ist es das Umfeld des Kranken, das es ihm schwer macht, die notwendigen Entwicklungsschritte rechtzeitig zu vollziehen und so der Krise die Spitze zu nehmen.

Entsprechend verhält es sich bei ‚spirituellen Krisen’. Diese verlaufen nach einem ähnlichen Muster, aber mit dem Unterschied, dass sie sich zumeist auf die ‚Innenwelt’ des Betroffenen beschränken und sich dort austoben. Er versucht, die Krise nach außen möglichst lange zu verbergen – weil er fürchtet, nicht verstanden zu werden. Schlimmer noch, er fürchtet, als verrückt zu gelten und von einer verständnislosen Umwelt ins Abseits gedrängt zu werden.

Doch, sind die Begleiterscheinungen bei der Krebserkrankung nicht ähnlich? Ich frage mich allen Ernstes, ob wir nicht gut daran täten, wenn wir die Krebs Krise als ‚spirituelle Krise’ auffassen würden und von dieser Seite her eine Therapie versuchen würden. Das würde dem Kranken möglicherweise viel Leid ersparen und den Krankenkassen einige Kosten. Es würde den Kranken und den Familien die Angst nehmen, die der Krebserkrankung wie ein ‚böser Schatten’ anhaftet. Doch es würde unser wirtschaftliches Gefüge erheblich durcheinander bringen. Möglicherweise mehr, als wir zu dieser Zeit verkraften können.

Wenn wir also über unser Gebundensein nachdenken, sollten wir zu allererst an unsere liebgewordenen Gewohnheiten denken. Mögen diese an liebe – oder auch weniger liebe - Menschen verbunden sein oder an unsere ach! so vertrauten Umgebung. Wären wir in der Lage, uns von beidem zu trennen, wenn es um unsere Gesundheit geht. Oder wenn wir wüssten, wir könnten die Krebserkrankung dadurch vermeiden? Ja, wenn wir das wüssten! Doch dafür gibt es keine Gewähr. Es gibt nur eine persönliche Entscheidung.

Wenn wir uns immer wieder prüfen, was unsere eigene Entwicklung blockieren könnte, kommen wir mit schöner Regelmäßigkeit zu dem Schluss: es ist das Bild, das wir von uns selber haben. Und das Bild, das wir der Umwelt zeigen. Und die vertrauten Bilder unseres Heims, unseres Arbeitsplatzes, unser Mitmenschen, die wir so schwer loslassen können.

In einer Entwicklungskrise gibt es fast immer einen ‚Bildersturm’. Also einen Angriff auf die vertrauten Bilder in uns. Das muss so sein, denn sie bestimmen unsere Weltanschauung und, damit verbunden, unser Bewusstsein. Entwicklungskrisen sind selbstverständlich Bewusstseinskrisen. Und unsere Weltanschauung ist der Spiegel, in dem sich Bewusstsein betrachtet – und formt.
Was wir glauben

Kurz und gut, unsere Weltsicht ist in ständigem Wandel begriffen. Und sie ist ungeheuer komplex. Sie ist sicherlich ein ‚Kind der Zeit’ und gestaltet sich tagtäglich neu, und wir nehmen selten wahr, wie weitgehend dabei Ansichten von Bedeutung sind, die wir von Anderen übernommen und uns zu eigen gemacht haben. Das beginnt ohne Zweifel mit dem Erlernen der Muttersprache, also in früher Kindheit.

Zu dieser Weltsicht gehören nicht nur unsere Gedanken, die wir uns bei Bedarf machen, dazu gehören eben auch Bilder, Beispiele, Vorstellungen, Pläne, Einschätzungen und so fort. Und zu dieser Weltsicht gehören, gleichsam als tragende Stützen, unsere ‚Grundannahmen oder Glaubenssätze’. Diese haben wir in der Regel nicht ‚gelernt’ – sie ergaben sich zumeist automatisch im Kontext mit unseren Erlebnissen und Erfahrungen.

Beispielsweise gehen wir doch alle davon aus, dass morgen die Sonne wieder aufgeht, obwohl dies durch nichts bewiesen ist, allenfalls ist es durch jahrtausende alte Erfahrung belegt. Und wir alle glauben daran, dass die Sonne auch dann vorhanden ist, wenn sie hinter einer Wolkendecke verborgen ist. Wir glauben daran, dass die Zeit niemals still steht. Und wir glauben daran, dass wir alle eines Tages sterben müssen. Nennen wir diese und ähnliche die ‚unverrückbaren Annahmen’, die unser Leben garantieren und uns jene Sicherheit gewähren, die wir als Menschen unbedingt brauchen.

Darüber hinaus gibt es unzählige Annahmen, die wir glauben und als gesichert betrachten, obgleich sie meist nur kulturell bedingte Vereinbarungen sind. Beispielsweise glaubten Wissenschaftler noch vor hundert Jahren, dass Frauen von Natur aus weniger Intelligenz besitzen als Männer, und man versuchte dies durch Wiegen des Gehirns zu beweisen. Solche Urteile gehören in den Bereich von Vorurteilen – und wenn wir sie als das erkennen, sind sie leicht zu korrigieren. Doch wir müssten dazu unseren gesamten Bestand an Urteilen neu überdenken, und das wäre eine unlösbare – und unsinnige – Aufgabe.

Unser Bewusstsein ist so beschaffen, dass wir aus Erfahrungen allgemein gültige Erkenntnisse ableiten. Das tun wir im praktischen Leben fortwährend. Und nur Wissenschaftler lernen (oder sollten es lernen), solche Erkenntnisse nur dann zu verallgemeinern, wenn dies nach allgemein gültigen Regeln zulässig ist. Aber selbst diese sind nicht gegen Trugschlüsse gefeit.

Wer sich darum bemüht, kann immer wieder bei sich feststellen, wie es zu solchen vorschnellen Schlüssen kommen kann. Sie sind von der Art: „Immer wenn …“. Wer drei Mal hintereinander erlebt, dass er bei Sonnenschein Kopfschmerzen bekommt, wird sich schwerlich daran hindern können daraus abzuleiten, dass er offenbar die Sonne nicht verträgt. Und er mag das nächste Mal bei Sonnenschein wirklich Kopfschmerzen bekommen und daraus ableiten, dass sich seine Erfahrung erneut bestätigt hat.

Dahinter steht natürlich, dass wir alle mehr oder weniger empfänglich für Suggestionen sind, und körperliche Beschwerden haben eine starke ‚suggestive Wirkung’.

Wenn ich sage, dass dabei immer auch unsere kulturellen Bezüge eine Rolle spielen, dann meine ich damit – auch unsere Geschichte. Unsere persönliche Geschichte ist gleichsam der Beleg für die Überzeugungen, die wir in uns angesammelt haben. Und unsere gemeinschaftliche Geschichte ist das kollektive Gedächtnis, in dem sich die Erfahrungen und Erkenntnisse unserer Vorfahren zu sprachlichen Formen und Formeln verdichtet haben. So wie der Satz ‚Auf Regen folgt Sonnenschein’. Das ist zwar trivial, aber in der richtigen Situation angewandt, soll es einen deprimierten Menschen aufrichten.

In Sprüchen und Redensarten werden solche ‚Volksweisheiten’ auffällig, in vielen anderen Formulierungen, die wir tagtäglich gebrauchen, sind sie eingewoben in Wörtern und Wendungen, und hier werden uns überkommene Urteile und Vorurteile selten bewusst, wenn wir davon Gebrauch machen.

Warum sagen wir beispielsweise ‚Krebs’, wenn wir eine Krankheit meinen, die nichts mit den kleinen unschuldigen Tieren zu tun hat, die wir ‚Krebs’ nennen. Es sei denn wir meinen ihren eigenartigen Gang, der eher nach seitwärts als nach vorne gerichtet ist. Ist das nun eine untergründige Erkenntnis des Volkes, verborgen in der Namensgebung? Oder nur eine zufällige und unsinnige Bezeichnung? Darauf mag sich jeder selbst eine Antwort geben.

Warum gehe ich so ausführlich auf diese ‚Glaubenssatz-Problematik’ ein? Nun, ich bin davon überzeugt, dass wir hier einen Schlüssel zur Lösung vieler gesundheitlicher Probleme haben. Wer hätte nicht schon erlebt, dass in ihm schmerzliche Erinnerungen immer wieder auftauchen - und sich doch nicht lösen lassen? Dass wir bei passender Gelegenheit solche Geschichten immer wieder erzählen, und sie schmerzen noch immer?

Ich glaube, dass wir solange darunter leiden, bis wir die Lehre ‚besser’ begriffen haben. Das heißt, dass wir bisher die falschen Schlüsse gezogen haben und diese korrigieren sollten. Anders gesagt, wir haben Vorurteile gebildet und diese müssen aufgelöst und durch bessere Urteile ersetzt werden. Es ist die Art und Weise, wie wir uns als Mensch belehren und dabei aus der Weltsicht zur Einsicht gelangen.
Selbstwert-Vernichter

Ein alter buddhistischer Lehrsatz lautet: Urteile nicht. Ein sehr guter Satz, den wir allerdings nicht befolgen können, weil wir als Mensch nur dann nicht urteilen, wenn wir unser ‚rationales Bewusstsein’ ablegen. Oder es hinter uns lassen. Das mag einem spirituellen Meister gelingen, doch wir – mich eingeschlossen – sind zumeist mit praktischen Dingen befasst. Auch wenn wir Bücher schreiben oder Vorträge halten, so wie ich es jetzt tue. Und dabei urteilen wir fortwährend. Wenn wir dagegen sagen würden: „Verurteile niemanden!“ könnten wir uns wohl damit anfreunden und hätten auch einige Aussicht auf Erfolg.

Desgleichen gilt für die ehrgeizige Bestrebung, ‚wertfrei zu urteilen’. Auch das ist unmöglich, denn Urteile beruhen auf Entscheidungen, die wir zwischen Möglichkeiten treffen. Selbst in solch einfachen Fällen wie bei dem Satz: ‚Dieser Apfel ist reif!’ muss ich voraussetzen, dass er auch unreif sein könnte, sonst wäre es kein Urteil sondern eine Trivialität. Wen interessiert schon der Mann, der feststellt, dass Wasser nass ist!

Es gibt ganze Bereiche einer formalen Logik – und berühmte Leute, die sie bearbeitet haben. Sie werden uns bis ins Kleinste auseinandersetzen, ob, wann und wie wir logisch richtige Urteile bilden. Das hört sich schön an, doch in allen praktischen Fragen ist ein Urteil immer auch ein Werturteil. Das ist gut so, denn dadurch bildet sich in uns nicht nur eine eigene Bewertung von Fakten und Vorgängen. Auf geheimnisvolle Weise bildet sich dabei auch unser Eigenwert. Oder unser Selbstwert. Oder schlicht das, was wir ein Selbstwertgefühl nennen. Und nun mag jeder selbst urteilen, ob ihm dieses wichtig ist!

Ich behaupte, dass Selbstwert und Selbstachtung nicht nur wichtig sondern sogar ganz entscheidend für unsere menschliche Existenz sind. Wird unser ‚Selbstwert’ bis in den Kern getroffen und verletzt, ist unser Weiterleben in Gefahr. So, wie bei der Krebserkrankung.

Ich glaube nicht, dass wir einen Menschen von dieser Krankheit heilen können, wenn es uns nicht gelingt, sein Selbstwertgefüge wieder aufzurichten. Ich glaube vielmehr, dass genau dies, das Wiederherstellen eines beschädigten Selbstwertes, die vordringliche Aufgabe für jeden Therapeuten ist, der mit Krebspatienten arbeitet – sei es als Arzt, Psychotherapeut oder Heiler. Wenn dies gelingt, kann sich der Körper selbst heilen. Wo nicht, stirbt er mit dem Menschen, ganz gleich, was die therapeutische Arbeit zu korrigieren versucht.

Dem Krebspatienten sein ‚Selbstwertgefühl’ wiederzugeben, oder dabei zu helfen, es wiederherzustellen, bedeutet zweierlei:

* Gib dem Betroffenen das Gefühl, dass er es wert ist, dass ihm geholfen wird. Unmittelbar und persönlich – nicht nur als ‚Rädchen in einem Medizingetriebe’.
* Versuche mit ihm zusammen herauszufinden, was sein Selbstwertgefühl fortwährend beschädigt.

Ersteres gehört nicht unmittelbar zu unserem Thema. Aber das letztere ist ein wichtiger Punkt, den wir noch einmal erinnern wollen.

Zu den schlimmsten ‚Selbstwert-Vernichtern’ gehören Schuldgefühle, wenn sie sich an zentraler Stelle anlagern. Wenn sie also suggerieren, man ‚könne so nicht weiterleben!’ Nicht mit dieser Schuld! In ihrer harmloseren Form bedeuten sie eine ‚Wertminderung’ – sozusagen eine ‚Selbstanklage’ der Art: ‚Ich bin schlecht!’. Oder schlimmer noch: „Es ist etwas Böses in mir!“ Ich übertreibe nicht, ich habe es erlebt.

Anders gesagt, Schuldgefühle werden erst dadurch zu dem, was sie uns bedeuten, dass sie unseren Selbstwert angreifen! Solange sie keine Selbstbezichtigung betreiben, können sie durch ‚versöhnliche Gesten’ aufgelöst werden. Sie bleiben gleichsam im ‚äußeren Kernbereich’ stecken und verschonen unsere ‚Lebensader’. Wir sollten alles daran setzen, dass sie sich nicht in die Tiefe hineinfressen können. Deshalb lege ich persönlich so großen Wert darauf, natürliche Schuld von künstlicher Schuld zu trennen. Dann können wir leicht einsehen, dass unsere Schuldgefühle auf falschen Gedanken beruhen, die sich korrigieren lassen.
Liebe ist Alles

Man sagt, Alles hängt mit Allem zusammen. Und damit meint man wohl, dass es nichts gibt, das völlig isoliert wäre. Nicht in dieser Welt und auch nicht anderswo. Man könnte auch sagen, Liebe verbindet Alles, was ist. Man könnte auch sagen, Liebe ist der tragende Pfeiler dieser Welt, auf dem Alles ruht.

Ich habe in einem medialen Buch eine Darstellung über die ‚göttliche Liebe’ gelesen, die mich mehr beeindruckt hat als alles, was ich bis dahin darüber gehört habe. Mehr noch als die Darstellungen, die wir aus der christlichen Bibel kennen. Es ‚spricht’ – durch den Mund eines Mediums – ein amerikanischer Philosoph aus dem 19.Jahrhundert, der als William James bekannt war, über seine ‚gegenwärtigen Erfahrungen und Erkenntnisse’ im Jenseits. Er vergleicht diese ‚göttliche Liebe’ mit einer allgegenwärtigen ‚atmosphärischen Präsenz’, die man fast nicht spürt – und sie doch zu jeder Zeit vergegenwärtigen kann, wenn man möchte. So sagt er beispielsweise (ich zitiere):

„… Auf eine Weise, die man unmöglich erklären kann, ist die ‚gute Absicht’ dieser atmosphärischen Präsenz dergestalt, dass sich jede schlechte Absicht darin auflösen würde, sie würde nicht vernichtet sondern einfach transformiert, sie würde sich automatisch in ihren bestmöglichen Ausdruck verwandeln; und zur gleichen Zeit wurde mir bewusst, dass das Zerstörerische einfach der unangemessene oder schlecht verstandene Ausdruck einer ‚guten Absicht’ ist.“

Damit beantworten sich uns zwei Fragen. Liebe ist göttlichen Ursprungs. Ihr Ausdruck im menschlichen Leben ist zwar dürftig, aber wir verlangen danach, wir brauchen sie wie die Luft zum Atmen. Und die ‚gute Absicht’ dieser allgegenwärtigen Liebe ist auf jeder Stufe des Bewusstseins erkennbar. Und mehr als dies, sie drängt in jedem von uns zu einem eigenen Ausdruck.

Wir alle wissen, dass es uns oft misslingt, diese ‚gute Absicht’ angemessen zu ‚verkörpern’. Wir alle wissen, dass wir sehr oft im Leben Zeuge eines solchen Misslingens werden, wenn wir Akten der Gewalt, der Zerstörung oder des Hasses begegnen. Wie anders sollten wir verstehen, was sich im Terrorismus abspielt, dem täglich Menschen zum Opfer fallen – abseits von Kriegen, mitten im Alltag, mitten im Leben? Was anders könnte es sein, als eine ‚fehlgeleitete’ gute Absicht?

Oft stellt man die Liebe und den Hass auf eine Stufe. Das ist unsinnig. Hassgefühle sind die kleinen (oder großen) Rempler, die wir brauchen, damit die Liebe auf rechtem Kurs bleibt. Im Hassgefühl korrigiert sich unsere Liebesfähigkeit und wächst über sich hinaus – wenn wir es recht verstehen. Wer anderes sagt, tut sich und seinen Mitmenschen keinen Gefallen.

Liebe löst alle Schuld!’ haben wir im letzten Vortrag gehört. Und mehr noch, Liebe löst auch den Tumor, wenn wir sie in der rechten Weise zum Ausdruck bringen können. Dann kann das ‚Zerstörerische’ in uns sich wieder einen angemessenen Ausdruck verschaffen, und das IST die Lösung des Krebsproblems, weit über jede andere Erklärung hinaus, sei sie wissenschaftlich oder nicht. Das ist das Beste, was ich euch aus meinem Erfahrungsschatz mitgeben kann. Ich wünsche und hoffe, dass ihr es zu eurem Besten aufnehmen und umsetzen könnt.

So viel für heute und für diese Runde.

Bücher, auf die ich Bezug genommen habe

Heim, Günther Heilung kommt von Innen
(in Vorbereitung)

Heim, Günther Die Rose blüht im Winter

Eine Einführung in die Transformative Psychodynamik

(in Vorbereitung)

Heim, Günther Wie ein Stein im Fluss
Eine Einführung in die Blockaden-Theorie

(in Vorbereitung)

Heim, Günther Ganzheitlich-Systemische Bioenergetik

(in Vorbereitung)

Janov, Arthur Gefangen im Schmerz

Roberts, Jane Die Natur der persönlichen Realität

Roberts, Jane Individuum und Massenschicksal

Ariston Verlag, 1988 in dt. Übersetzung

Roberts, Jane The Afterdeath Journal of an American Philosopher

- The World View of William James (in Englisch).

New Awareness Networks Inc. 2001